Ukraine
Engagiert für und mit der ukrainischen Biobranche
bioPress-Korrespondent Peter Jossi im Gespräch mit Stefan Dreesmann, Leiter ‚Deutsch-Ukrainische Kooperation Ökolandbau‘

bioPress: Herr Dr. Dreesmann, Sie sind Leiter des Projekts ‚Deutsch-Ukrainische Kooperation Ökolandbau‘. Vor welchem persönlich-beruflichen Werdegang entwickelte sich Ihr Ukraine-Engagement?
Stefan Dreesmann: Ich bin seit den 80er Jahren im ökologischen Landbau tätig. Nach der Promotion am Institut für organischen Landbau der Universität Bonn war ich 18 Jahre lang Referent für ökologischen Landbau im Landwirtschaftsministerium Niedersachsen. In dieser Zeit war ich auch in verschiedenen Projekten zum ökologischen Landbau in mehreren osteuropäischen Ländern tätig, auch in der Ukraine. Zudem habe ich die Ukraine mehrere Jahre lang während meines Urlaubs bereist.
Das alles war eine gute Grundlage, um 2021 als Leiter des Projektes ‚Deutsch-Ukrainische Kooperation Ökolandbau‘, das von der deutschen Consulting ‚GOPA-AFC‘ umgesetzt wird, in Kyiv zu beginnen. Das Projektteam besteht aus vier UkrainerInnen sowie meiner Person; momentan arbeiten wir von der Ukraine, Polen und Deutschland aus. Das Projekt wird vom deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert.
bioPress: Mit welchen Aktivitäten und Schwerpunkten konnte Ihre Organisation im Verlauf 2024 konkrete Unterstützung leisten?
Dreesmann: Das Projekt hat mehrere Ziele: Zum einen das ukrainische Landwirtschaftsministerium dabei zu unterstützen, ein eigenes ukrainisches Gesetz zum ökologischen Landbau zu entwickeln, umzusetzen und an die neue EU-Verordnung anzugleichen. Mittlerweile sind bereits rund 260 Ökobetriebe in der Ukraine nach diesem Gesetz zertifiziert.
Das zweite Ziel ist die Etablierung einer digitalen ukrainischen Plattform zum ökologischen Landbau. Nach Programmierung dieser Plattform stehen dort digital mittlerweile über 700 Artikel und Videos in ukrainischer Sprache zur Verfügung. Mit Unterstützung unseres Projektes wurden hierfür in den letzten Jahren zum Beispiel zahlreiche Fachartikel zum Ökolandbau aus dem Deutschen ins Ukrainische übersetzt.
Ein weiteres Ziel ist die Förderung der ukrainischen Ökoverbände und Ökobetriebe. Hierzu gehören zum Beispiel die Unterstützung von Fachkongressen und -Veranstaltungen, wie zum Beispiel des ‚Organic Day‘ im September 2024 in Kyiv sowie die Förderung von Fortbildungen und von gezielten Marketingmaßnahmen für die ukrainischen Ökobetriebe.
Besonders freut uns, dass unser Projekt zusammen mit der ‚Zukunftsstiftung Landwirtschaft‘ der GLS Treuhand seit Beginn des russischen Angriffskrieges fast eine Million Euro an Spendengeldern in Deutschland für die ‚Nothilfe Ukraine Ökolandbau‘ sammeln konnte. Mit den Spenden konnten über 230 Ökobetriebe in der Ukraine in den letzten drei Jahren stabilisiert werden, darunter sehr viele kleine Ökobetriebe, die es überall in der Ukraine gibt.
bioPress: Warum erweist sich selbst in Kriegszeiten die ukrainische Agro-Foodbranche als sehr leistungsfähig?
Dreesmann: Aus Sicht eines Beobachters außerhalb der Ukraine scheint es kaum vorstellbar, dass diese Maßnahmen trotz der seit fast drei Jahren andauernden unerbittlichen Drohnen- und Raketenangriffe Russlands auf die gesamte Ukraine umgesetzt werden können. Die erfolgreiche Umsetzung gelingt dank des fast übermenschlichen Einsatzes und der Resilienz der Menschen in der Ukraine, in unseren Projekten insbesondere dank unseren ukrainischen Kolleginnen und Kollegen der Biobranche.
bioPress: Was sind aktuell die größten Herausforderungen für die ukrainische Biobranche – und die Ernährungswirtschaft allgemein?
Dreesmann: Es sind sehr viele Herausforderungen, die aktuell aufgrund des russischen Angriffskrieges zu bewältigen sind. Fast täglich oder sogar mehrmals täglich Raketenalarme im ganzen Land mit entsprechender Befürchtung, einem Raketenangriff ausgesetzt zu sein. Tatsächliche Raketenangriffe mit nachfolgender Zerstörung von wichtiger Infrastruktur, zum Beispiel der Energieversorgung; Ausfall der Stromversorgung und die damit einhergehende Herausforderung, Strom zur Verfügung zu stellen, zum Bespiel für das Melken der Kühe, die Verarbeitung von Rohwaren oder die Sicherstellung der Kühlketten. Zunehmend weniger Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, da viele Männer zum Militär eingezogen wurden und an der Front kämpfen. Verminung von vielen Flächen, die im Einzugsbereich der Front liegen. Steigende Preise für wichtige Produktionsmittel, zum Beispiel für Treibstoffe. Oder lange Wartezeiten an der Grenze. Um nur einige Beispiele zu nennen.
bioPress: ...und trotz allem die Chancen und Zukunftsperspektiven?
Dreesmann: Trotz dieser vielen Herausforderungen arbeiten die landwirtschaftlichen Betriebe in der Ukraine, und damit natürlich auch die ökologischen Betriebe und Unternehmen, unentwegt weiter und trotzen dem Krieg. Bedingt durch die sehr guten klimatischen Bedingungen und Böden können die ukrainischen Biobetriebe eine große Palette an Kulturen mit hervorragenden Qualitäten produzieren. Für den Export wie auch den inländischen Verkauf. Und die Exportzahlen zeigen, dass diese hochwertigen Bioprodukte weiterhin stark in der EU nachgefragt werden. Diese Chancen nutzen die sehr aktiven ukrainischen Biobetriebe und diese Basis bietet viele Zukunftsperspektiven. Für die ukrainischen Biobetriebe, für die europäischen Importeure wie auch für Verbraucher innerhalb der Ukraine. Auch seitens der ukrainischen Regierung nimmt der ökologische Landbau eine immer größere Bedeutung ein. So hat sie vor einigen Monaten den ökologischen Landbau in ihre Landwirtschaftsstrategie 2030 mit aufgenommen.