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Editorial Ausgabe 121/Oktober 2024, 4. Quartal

Liebe Leserinnen, liebe Leser.

Die Bio-Hersteller setzen mit ihren Marken auf die selbständigen Kaufleute. Deren Vorstufen bleiben bei ihrer etablierten Strategie: Viel vom Gleichen, sprich Handelsmarken und ein beschränktes Bio-Markensortiment. Die Kunden wollen mehr!

Über die Zentralen dürfen einige Bio-Markenführer Teile ihres Gesamt-Programms liefern und sich freuen, dass sie auf diesem Weg Mengen absetzen können. Die Krise im kleinstrukturierten Fachhandel hat viele Hersteller aufgeweckt und ihre Strategien in Richtung 10.000 Outlets verändert.

Die Millionen Kunden der Kaufleute könnten den Markt bewegen. Allerdings müsste dann Bio nicht nur vom Qualitätsanspruch der Kaufleute und dem Nachhaltigkeitsgedanken der Vorstufen her gedacht werden. Der Handel behauptet immer, die Kunden würden den Markt, also das Angebot bestimmen. Das stimmt aber nicht. Sie können nur kaufen, was der Handel in die Regale stellt.

Der Lebensmittelmarkt ist angebots-, nicht nachfragegetrieben. Das wird deutlich sichtbar beim Blick auf die Bio-Sortimente. Während der Naturkostfachhandel mit seinen Läden und kleinen Supermärkten ein Bio-Vollsortiment anbietet, bieten die Kaufleute, anders als in ihrem herkömmlichen Angebot, allenfalls vom Anspruch her ein Vollsortiment. In jeder Warengruppe ein Produkt reicht jedoch nicht.

Bio-Frische-Sortimente sind im SEH noch so spärlich, dass bis zum Bio-Vollsortiment sehr viel Luft nach oben bleibt. Das liegt an den Strukturen. Dass Kaufleute nach einem Ausweg suchen, hat noch zu keinem Aufbruch, nicht zur Solidarität unter den Bio-Anbietern geführt. Sie suchen ihre Chance in den Armen der Vorstufen, die ihre altbekannten Strategien des Umarmens und Erdrückens anwenden. Viel vom Gleichen anstelle von Vielfalt statt Einfalt ist das Ergebnis.

Qualitätsorientierte Vollsortimente beginnen bei der Frische. Ein Sortiment wie im Kiosk ist nicht anziehend für die Kunden. Bio-Sortimente müssen von den Kunden-Bedürfnissen her gesehen und organisiert werden. Da ist die Sicht der Einkäufer – machen, was nützt – zu kurz gesprungen.

Das zeigen die Regionalprogramme der Vergangenheit, zu viele Regionalprogramme treten auf der Stelle oder sind rückläufig. Jetzt wird Regionalität von der neuen Zentralen Koordination Handel-Landwirtschaft (ZKHL) aus den Regionen zurückgeholt und in ein Herkunftszeichen ‚Gutes aus Deutscher Landwirtschaft‘ gebündelt, um Transparenz zu schaffen, Qualität zu sichern und die individuellen Herkunftszeichen zu vereinheitlichen? Ja, und um Lizenzen zu kassieren und Regionalität in zentralen Händen zu behalten. Im Sinne der Verbraucher oder Landwirte ist das keinesfalls. Nur ein weiteres Label im Dschungel. Wertschätzung von Lebensmitteln aus der Region gibt es schon, das braucht diese Zentrale nicht und schon gar keine Vereinheitlichung.

Biolebensmittel leisten viel fürs Klima, regenerieren die Böden und Biodiversität und befriedigen soziale Bedürfnisse und Bezüge zu den Regionen. Würden sie aus der Region vom Feld über die Kaufleute auf die Teller gebracht, kämen die kurzen Wege im Mainstream sozusagen von selbst. Geld in die Hände nehmen und Strukturen für Bündelung schaffen wäre sinnvoll: Echt Bio aus der Region vom Landwirt, vom Müller, Bäcker, Schlachter und Metzger, Obst und Gemüse vom Gärtner, ergänzt durch 500 Bio-Marken auch kleiner Hersteller. Und Wertschöpfung dorthin lenken, wo sie den Regionen dient, nicht den Handelszentralen.

Ein neuer visionärer Handel mit Blick auf ein neues Qualitätsbewusstsein und wahre Preise sowie Verantwortung für die eigenen Sortimente mit Gesundheits- und Verbraucherkommunikation müsste sich an die Spitze der Nachhaltigkeitsbewegung setzen und bio-regionale Qualitätslebensmittel nicht nur für Einzelne, sondern als Standard präsentieren.

Dazu regen sich immer mehr Geister in Kongressen oder Symposien, die sich auf die Belange der Kaufleute einstellen wollen. Die Politik in der EU spricht von zweierlei bei der Verteilung der zwölf Milliarden Euro seit 2014: ökologische Landwirtschaft und ökologisches System. Wobei letzteres vom EU-Rechnungshof als vernachlässigt gerügt wurde. Die Förderaufmerksamkeit der Staaten ist zu einseitig und ineffizient.

Auf der Biofach-Messe wird das Thema Wandel im Lebensmitteleinzelhandel ins Zentrum gerückt. Bio im Mainstream geht weit über die Grenzen des Naturkostfachhandels hinaus. Zum dritten Mal wird die Sonderschau Meetingpoint BIOimSEH – supported by BIOFACH organisiert. 2025 wird ein fulminanter Auftritt die Kaufleute in der Halle 7 auf eine 350 Quadratmeter große Fläche in einen ökologischen Ladenbau locken, mit dem Bio-Frische-Schwerpunkt: Fleisch- und Wurst, Käse- und Brottheke, eine SB-Kühlinsel für frische Salate und eine O+G-Auslage. Ergänzt wird das Angebot durch viele Bio-Marken für den SEH und auch Großhändler, die das liefern können.

Die vielen Fragen, die sich in der Direktbelieferung der Kaufleute ergeben, werden ausgetauscht und diskutiert in der Bio-Experten-Lounge direkt auf der Fläche, deren Themen und Termine für viele tausend Besucher im Biofach-Kongressprogramm gut sichtbar kommuniziert werden.

Mit den Kaufleuten ins Gespräch kommen. Ihren Bedürfnissen nach gebündelten Bio-Lieferungen entgegenkommen, sie beraten und unterstützen bei der Beschaffung von Bio-Vollsortimenten ist heute mehr angesagt denn je.

Erich Margrander
Herausgeber

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