Politik
Unterwegs in eine faire Ernährungsumgebung
Achim Spiller im Gespräch mit bioPress

Wo steht die Bundesregierung auf dem Weg zu 30 Prozent Bio? Was muss sich in Deutschland ändern für eine nachhaltigere Ernährung? Und welche Rolle spielt dabei der Wissenschaftliche Beirat als Berater? Achim Spiller, Professor für ‚Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte‘ an der Georg-August-Universität Göttingen und Vorstand des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE), hat sich mit bioPress über seine Arbeit und die Ernährungswende unterhalten.
bioPress: Herr Spiller, die Zusammenhänge zwischen Agrarproduktion, Ernährung und Gesundheit wurden lange Zeit gar nicht wahrgenommen. Wie hat sich das mit dem Wissenschaftlichen Beirat geändert?
Achim Spiller: Stimmt, in der Vergangenheit sind Agrar- und Ernährungspolitik meist unverbunden nebeneinandergelaufen. Es ist eine der großen Herausforderungen, jetzt beides zusammenzudenken. Im Beirat haben wir inzwischen eine ungefähr gleichgewichtige Besetzung von WissenschaftlerInnen aus dem Agrar- und Ernährungsbereich. Dadurch kommen spannende Diskussionen zustande.
Auch mit unserem letzten Gutachten ‚Politik für eine nachhaltigere Ernährung‘, das 2020 erschienen ist, haben wir versucht, dieses integrative Denken anzustoßen. Letztlich haben wir dabei im Wesentlichen vom Konsumenten her gedacht. Ein zentrales Instrument, um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren, ist ja zum Beispiel die Verminderung des Konsums tierischer Produkte. Wenn wir nur an die Produktionsseite denken, kommen wir da nicht weiter. Es könnte die Situation sogar verschlechtern, wenn nachher Ware aus dem Ausland importiert werden muss, die zu schlechteren Standards hergestellt wurde. Für den Klimaschutz ist die Höhe des Konsums entscheidend.
Den Konsumenten muss es also ermöglicht werden, sich so gesund und umweltfreundlich zu ernähren, wie sie eigentlich möchten. Im Gutachten haben wir das ‚Gestaltung einer fairen Ernährungsumgebung‘ genannt. Dabei ist die Politik gefragt.
bioPress: Wie zufrieden sind Sie momentan mit der politischen Umsetzung Ihrer Empfehlungen?
Spiller: Die Bundesregierung plant derzeit eine Nationale Ernährungsstrategie, die bis Ende des Jahres stehen soll. Das bereits veröffentlichte Eckpunktepapier ist noch sehr allgemein gehalten. Jetzt wäre es ganz zentral, dass wirklich klar terminierte, anspruchsvolle und realistische Ziele gesetzt werden, an denen man sich messen lassen kann.
Ein nicht besonders glückliches Beispiel für den Umgang mit politischen Zielen ist der Bio-Ausbau, der ja schon ziemlich lange als konkretes Ziel feststeht. Trotzdem ist noch unklar, was mit den geplanten 30 Prozent eigentlich gemeint ist: Fläche oder auch Anteil tierischer Erzeugnisse? Letzteres wäre noch viel anspruchsvoller. Vor allem beim Fleisch sind wir noch meilenweit davon entfernt. Außerdem steht weiterhin nicht fest, wie das Ziel erreicht werden soll. So oder so denke ich nicht, dass das 30-Prozent-Ziel bis 2030 noch machbar ist. Es wäre daher gut, sich nochmal zusammenzusetzen und zu überlegen, welches Ziel realistisch ist. Andernfalls wird es unglaubwürdig.
bioPress: Die Bio-Branche ist immer noch zu verschlossen, um die Massen für Bio zu gewinnen. Welchen politischen Einfluss kann der Wissenschaftliche Beirat dagegen ausüben?
Spiller: Anders als andere Beiräte sind wir nicht besonders aktiv in der Beratung der Tagespolitik. Die Philosophie des Beirats ist eher auf die langfristige Beeinflussung durch umfangreiche Gutachten ausgerichtet. 2015 haben wir zum Beispiel ein vielbeachtetes Gutachten zur Nutztierhaltung veröffentlicht. Da-für hat es viel Protest von konventionellen Landwirten gegeben, es hat aber auch ganz viel angestoßen und die Arbeit der Borchert-Kommission beeinflusst. Unser neuestes Gutachten zur nachhaltigen Ernährung von 2020 hat fast 800 Seiten. Wir haben damit die vier Bereiche Umwelt-/Klimaschutz, Tierschutz, Gesundheit und Soziales abgedeckt. Jetzt hoffen wir, dass alle Bereiche mit der Ernährungsstrategie anspruchsvoll umgesetzt werden.
bioPress: Mit wechselnden Regierungen und Ministern geht alles immer sehr langsam in der Politik. Die Bewusstseinsentwicklung in der Bevölkerung scheint da inzwischen schon weiter zu sein. Oder wie ist ihre Beobachtung?
Spiller: Stimmt, ein wachsendes Bewusstsein in der Bevölkerung für Nachhaltigkeit wird durch Studien bestätigt. Alleine durch das individuelle Kaufverhalten werden wir die Transformation aber nicht schaffen. Dafür braucht es die richtigen Rahmenbedingungen, die von der Politik gesetzt werden müssen. Beispielsweise müssen die sechs Milliarden Euro EU-Agrar-Subventionen, die in Deutschland jährlich ausgezahlt werden, zielgerichtet eingesetzt werden.
bioPress: Die Bio-Branche ist bei ihrer Vermarktung immer sehr stark mit einer ‚Weltrettungsideologie‘ unterwegs. Nach unserer Erfahrung zieht das Gesundheitsargument – ‚tu dir selbst etwas Gutes‘ – aber besser. Wie sehen Sie das?
Spiller: Davon, das Gesundheitsargument für Bio zu nutzen, bin ich nicht überzeugt. Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht ist Gesundheit nicht das stärkste Argument für Bio. Pestizidrückstände sind natürlich ein gesundheitlicher Aspekt, aber Bio hat andere, gewichtigere Vorteile. Wichtiger ist zum Beispiel der Schutz von Umwelt und Biodiversität. Damit Bio-Produkte gesünder sind, muss man ihre Zutaten gesünder machen, also die Nährstoffseite. Dass das geschieht, wäre ein Wunsch von mir an die Bio-Branche.
Der Wissenschaftliche Beirat hat auch den Nutri-Score unterstützt – obwohl es da noch einige Baustellen gibt. Wir hoffen, dass er weiter optimiert wird und zum Beispiel Ballaststoffe besser berücksichtigt.
bioPress: Als die Grünen die Idee hatten, einen Veggie Day einzuführen, gab das in Deutschland einen Aufschrei. Kann sich die Politik mit solchen Vorstößen für eine nachhaltigere Ernährung überhaupt durchsetzen?
Spiller: Die politische Kultur in Deutschland ist tatsächlich so, dass man bei staatlichen Eingriffen in Konsumentscheidungen sehr zurückhaltend ist – vielleicht kommt das noch von der Abgrenzung zur ehemaligen DDR. Wir waren zum Beispiel in Europa die Letzten beim Verbot der Tabakaußenwerbung. Auch der Alkoholkonsum wird vergleichsweise wenig reglementiert. Inzwischen tut sich aber was. So steht ja etwa gerade auf der Agenda, Kinder vor ungesunden Lebensmitteln durch eine Werberegulierung zu schützen. Stichwort faire Ernährungsumgebung: Bei Kindern für ungesunde Produkte zu werben, ist eben nicht fair.
Auch wahre Preise sind Teil einer fairen Ernährungsumgebung und langfristig ganz wichtig. Zunehmend versuchen WissenschaftlerInnen, die externen Kosten unseres Ernährungssystems zu berechnen. Das dann auf einzelne Lebensmittel herunterzubrechen, ist allerdings sehr aufwendig. Ein wichtiger erster Schritt wäre es, die Lenkungssteuern zu verändern, beispielsweise die Mehrwertsteuer. Auch eine Pestizidsteuer wäre denkbar. Selbst die USA haben momentan bereits eine höhere Transparenz über den Pestizideinsatz als wir.
bioPress: Sie lehren an der Uni im Feld Agrar-Marketing. Wie ist die Einstellung der Studenten – also der Akteure der Zukunft – zur Transformation der Landwirtschaft?
Spiller: Das Nachhaltigkeitsbewusstsein unter den Studenten hat auf jeden Fall zugenommen, es gibt aber auch eine große Unsicherheit darüber, wie es politisch weitergeht. Es bräuchte jetzt langfristige und klare Pläne von der Politik. Dazu brauchen wir viel zukunftsgerichtete Forschung. Bio hat eine wichtige Innovationsfunktion, aber auch die konventionelle Landwirtschaft muss ökologischer werden.
Interview: Erich Margrander und Lena Renner