Start / Business / Themen / Quengelkasse bleibt kräftezehrend

Werbung

Quengelkasse bleibt kräftezehrend

An Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung halbherzig eingeschränkt

Quengelkasse bleibt kräftezehrend
Zu bunt, zu süß, zu aggressiv beworben: Das soll sich ansatzweise ändern.

Die Werbewirtschaft kommt zwar der Forderung von Bundesernährungsministerin Klöckner nach, sich zurückzuhalten. Es bleibt aber bei Empfehlungen beziehungsweise freiwilliger Selbstkontrolle.

Das Geschrei an der Quengel-Regalen untermalt das Problem: Kinder gieren nach ungesundem Fett- und Zuckergemisch, insbesondere wenn es im Fernsehen der Superheld X oder im Internet die Influencerin Y anpreist. Aus diesen Gründen forderte die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, die Lebensmittelwerbung einzuschränken. Das klingt fortschrittlich, tatsächlich ist es nicht mehr als ein Wackeln mit dem Zeigefinger, das zudem nur einen bereits bestehenden Beschluss wiederholt.

Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) solle insbesondere zwei Punkte ändern: Verhaltensregeln sollen auch für Kinder bis 14 Jahren gelten und manche Produkte dürfen nicht mehr als positiv für die Ernährung angepriesen werden.
Dass der ZAW dem nicht folgen will, verwundert nicht: Noch im März 2021 hatte der der Verband eine Hamburger Studie von Wirtschaftswissenschaftler Tobias Effertz als zu plakativ zurückgewiesen, die die erhöhte Werbeintensität bezüglich Minderjährigen kritisierte. Aufgrund der Studie wollte ein Bündnis aus Wissenschaftlern, Kinderärzten und dem AOK-Bundesverband ein Kindermarketing für solche Produkte in allen Medienarten sogar generell untersagen.
Doch auch Klöckner zeigt hierbei keine Eigeninitiative, sondern rennt nur einem bestehenden Beschluss hinterher: Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag vom November 2020, der zwischen allen deutschen Bundesländern beschlossen wird, hatte ohnehin den Spielraum des ZAW eingeengt. Er legte die Kinderdefinition auf Personen „unter 14 Jahre“ fest. Freilich sind die Rundfunkveranstalter und Anbieter von Telemedien nur "verpflichtet, eigene selbstverpflichtende Regelungen zu treffen". Es dürfte sie kaum auf Kurs bringen, wenn Klöckner milde mahnt: „Ich erwarte, dass die angepassten Verhaltensregeln auch konsequent in der Praxis angewendet werden – das behalten wir im Blick“. Sollte sich die Anwendung der neuen Verhaltensregeln als unzureichend erweisen, schließe sie eine strengere staatliche Regulierung nicht aus. Hier stellt sich die Frage, warum sie nicht konsequenter ein Bundesgesetz auf den Weg brachte. Denn die bloßen Verhaltensregeln wurden wie folgt angepasst:

  • Der Schutzkreis der Verhaltensregeln wird von vormals „unter 12-Jährige“ auf „unter 14-Jährige“ ausgeweitet.

Zudem wird die Bewerbung von besonders fett-, zucker- und salzhaltigen Lebensmitteln gegenüber Kindern eingeschränkt:

  • Es dürfen keine positiven Ernährungseigenschaften mehr hervorgehoben werden, wenn die Werbung im Umfeld von Kindersendungen ausgestrahlt wird oder sich durch ihre Aufmachung direkt an Kinder richtet.
  • Dies gelte nicht nur für Fernsehwerbung, sondern auch für Internetwerbung, die stark an Bedeutung gewinne.

Durch die Anhebung der Altersgrenze und den erweiterten Anwendungsbereich seien nun auch junge Nutzer von Social-Media-Plattformen wie ‚Youtube‘ und ‚TikTok‘ stärker geschützt. Eltern dürften dies als unrealistisch einschätzen: An der Quengelkasse brüllen Kinder nicht nach einem Schokoriegel, weil sie an dessen positiven Ernährungseigenschaften glauben. Vielmehr suggeriert ihnen ein niedliches Fabeltier, dass sie damit zu den coolen Jungs und Mädels gehören. Klöckner wäre also besser der Hamburger Studie gefolgt, Kindermarketing für solche Produkte in allen Medienarten grundsätzlich zu untersagen.

[ Artikel drucken ]


Das könnte Sie auch interessieren

Kinder vor Junkfood-Werbung schützen

Rund 40 Organisationen machen Druck auf die Ampel-Regierung

Kinder vor Junkfood-Werbung schützen © IWE

TV-Starkoch Jamie Oliver appelliert gemeinsam mit einem Bündnis aus etwa 40 Organisationen an die Ampel-Koalition, Kinder und Jugendliche vor Werbung für Lebensmittel mit viel Zucker, Fett oder Salz zu schützen. Werbung beeinflusse „nachweislich die Präferenzen und das Essverhalten“ junger Menschen, heißt es in einem offenen Brief, und Werbebeschränkungen seien ein „wichtiger Schritt, um Familien dabei zu unterstützen, Kindern eine gesunde Ernährungsweise beizubringen“.

07.11.2022mehr...
Stichwörter: Kinder, Julia Klöckner, Werbung

Ungesundes zum Schulstart

Rewe-Prospekt bewirbt unausgewogene Lebensmittel

Zuckergetränke, salzige Snacks und Süßwaren: In einem Werbeprospekt mit Aktionspreisen hat Rewe „leckere Begleiter für den Schulalltag“ versammelt, die zum allergrößten Teil nicht den Nährwertempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprechen. Dafür gibt es jetzt Kritik vom Medizin- und Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK). Das Prospekt sei ein weiterer Beleg dafür, dass Werbebeschränkungen überfällig sind.

10.08.2022mehr...
Stichwörter: Kinder, Julia Klöckner, Werbung

„Wir sind alle in der Verantwortung“

Podium diskutiert über Wege in eine neue Ernährungsumgebung

„Wir sind alle in der Verantwortung“

Wer ist verantwortlich dafür, dass die Ernährungswende gelingt? Wie sieht eine gesunde und nachhaltige Ernährungsumgebung aus? Was passiert bereits und wo gibt es noch Handlungsbedarf? Zur Frage ‚Wie gelingt die Transformation zu einer gesunden und nachhaltigen Ernährung?‘ unterhielten sich am vergangenen Dienstag bei ‚Lidl im Dialog‘ Experten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

21.03.2023mehr...
Stichwörter: Kinder, Julia Klöckner, Werbung