Start / Ausgaben / BioPress 64 - August 2010 / Alles Öko am Vogelsang

Alles Öko am Vogelsang

Die Stuttgarter Markthalle ist regional und biologisch

Markt am Vogelsang heißt die neue Bio-Verkaufsstelle im Stuttgarter Westen. Der zweistöckige Bau tritt die Nachfolge der Bauernmarkthalle an. Das Konzept wurde allerdings weiterentwickelt. Zur Komponente Regionalität kam Bio. Daneben gibt es ökologisches Non-Food. Das Handelskontor Willmann aus Vaihingen/Enz betreibt den Markt als Generalmieter. Eigentümer sind die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB), die 2,5 Millionen Euro in das Gebäude mit einer Fläche von 1.800 Quadratmetern investiert haben.

 

Acht Mieter hat Geschäftsführer Gottfried Willmann gefunden: Den Marktladen, Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwä­bisch Hall, Eselsmühle, Restaurant Lässig, Waschbär, Minibär, Buch & Spiel, Blüte & Stil. Der Markt soll nicht nur Einkaufsstätte für Lebensmittel sein, sondern den täglichen Bedarf abdecken. Mit Gastronomie und Non-Food erfüllt er diesen Anspruch weitgehend.

Gesundheit und Schönheit hätte Willmann gerne noch in dem Markt gesehen. „Ein Bio-Friseur fehlt. Es gibt zwei in Stuttgart. Mit einem haben wir gesprochen. Der will seinen jetzigen Standort aber nicht aufgeben“, berichtet Willmann. Auch ein Öko-Reisebüro kann er sich gut vorstellen. Was nicht ist, das kann noch werden.


Die Obst- und Gemüseabteilung des Marktladens hat Besuch vom Kindergarten.
Der Markt am Vogelsang löst die alte Bauernmarkthalle in unmittelbarer Nachbarschaft ab. Die Zeit des ehemaligen Straßenbahndepots war nach 14 Jahren abgelaufen. Die Halle wird abgerissen und mit Wohnungen bebaut. Dort ziehen dann mögliche neue Kunden in Laufnähe für den neuen Markt am Vogelsang ein.

Die Idee wurde mit Stein gebaut

Die Idee entstand in der alten Bauernmarkthalle, als klar war, dass es dort nicht mehr weiter gehen würde. Eine Mieterin mit Naturkost-Stand fragte sich, was dann? Sie diskutierte mit Verkaufsleiter Roland Rausch des Naturkost-Großhändlers Pax an. Hako-Geschäftsführer Gottfried Willmann nahm die Idee auf. Architekt Jörg Kunze vom Holzhof, Einrichter zahlreicher Bio-Märkte, hat mit den Mietern in der Bauernmarkthalle gesprochen und ein Konzept entwickelt. Die Initiatorin ist dann doch nicht in den neuen Markt eingezogen, sondern hat in Bad Mergentheim ein Geschäft eröffnet.


Die Eselsmühle vertritt das Bäcker-Handwerk auf hohem Niveau.
Mitte Juli ging die Glastür auf. Und die Stuttgarter strömten gleich am ersten Tag. „Mit der Eröffnung waren wir zufrieden“, resümiert Willmann. Er hat konservativ gerechnet mit einer Frequenz von 400 Kunden pro Tag im Marktlanden bei einem Bon von 18 Euro. Die doppelte Kundenzahl dürfte hier auf Dauer durchmarschieren am Tag, genügend Platz ist auch für eine größere Kundenfrequenz vorhanden. Am Vormittag hat die Bäckerei die Verkaufshoheit. Zum Mittagstisch lockt das Restaurant, nach Feierabend der Marktladen zum Einkauf der täglichen Frische.

Mit der breiten Glasfront ist das großzügig ausgeleuchtete Gebäude ein Blickfang. Als Markt am Vogelsang spricht er die gesamte Bevölkerung an, nicht nur den biologisch orientierten Teil. Die Backstein-Fassade passt sich an die Architektur des Viertels an. Innen ist es hell und freundlich, wie es für einen Erlebniskauf optimal ist. Das Gefängnis-Gefühl wie im Kaufhauses ohne natürliches Licht entsteht nicht. Der Eingangsbereich ist breit und offen und stellt dem Kunden nicht sofort Ware als Hürde in den Weg, die zum Ausweichen zwingt. Die zweite Etage erstreckt sich als Galerie nur über die Hälfte der Grundfläche und sorgt für Offenheit. 60 Parkplätze vor dem Markt und in einer Tiefgarage ermöglichen einen Großeinkauf.

Marktladen beherrschende Fläche


Die Wurst- und Fleischtheke der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall zählt zu den Glanzlichtern, ebenso die Käsetheke mit fast 40 regionalen Sorten. {_umbruch_}
Der Gang weitet sich nach einer Seite zu einer Fläche. Sie wird von den Mietern mit Aktionen bespielt und sorgt für Erlebnis beim Einkauf. Die größte Fläche mit 500 Quadratmeter belegt der Marktladen mit einem Bio-Vollsortiment und zertifizierter Naturkosmetik.

Kompetenz wird bei Frische und Service gezeigt. Das beherrschende Element ist die abgetrennte Obst- und Gemüseabteilung. Eine Fachkraft ist ständig zur Beratung präsent. Die Kühlung bringt Frische und vermindert Verluste. Das Sortiment ist überragend mit mehr als 200 Artikeln. Nicht nur Äpfel und Kartoffeln kann der Kunde hier nach Sorten kaufen, auch Karotten. „Regionalität und Frische zählen für uns“, macht Willmann klar, der Hauptlieferant für den Marktladen ist. Die Region heißt Baden-Württemberg. Aus dem Süd­westen als Hochburg kommt natürlich viel Ware mit Demeter-Zertifizierung.

Natürlich kommt nicht alles aus dem Ländle: Demeter-Bananen aus der Dominikanischen Republik (2,99 Euro/Kilogramm) werden neben der GoldenBio von Port Hamburg (1,99 Euro/Kilogramm) geführt. In der O+G-Abteilung spielt die Vielfalt eine große Rolle: Rispen, Cocktail-, Kirschtomaten die Auswahl ist beeidruckend. Das Angebot ist regional geprägt. Die Demeter Gärtnerei Willmann ist vertreten. Kraut aus Bioland-Anbau in Baden-Württemberg. Bunt, frisch und appetitlich sieht das alles aus.

BESH zeigt Fleischkompetenz


Im Restaurant Lässig lässt sich gut biologisch speisen.{_umbruch_}
Nach dem Obst- und Gemüse gelangt der Kunde auf seinem Lauf zur Bedientheke der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall mit Bio-Fleisch und -Wurst auf sieben Meter Länge. Das Metzgerei-Vollsortiment ist regional und biologisch mit Beratungskompetenz. Die Fleischtheke dominiert im Bedienungsbereich passend zum Marktcharakter der Verkaufstelle. Danach kommt der Kunde zur Käse- und Feinkosttheke. Mit fünf Meter Länge ist sie etwas kürzer als Fleisch und Wurst. In einem Bio-Supermarkt wird Käse sonst größer gefahren als Fleisch. Beim Bio-Käse ist die Region stark vertreten. Von den über 100 Artikeln in der Theke sind 37 regional. Das wird mit Aufsteckern kenntlich gemacht. Natürlich gibt es auch Käse aus Frankreich, den Niederlanden oder Italien.

Dem Kühlregal mit Milchprodukten, SB-Wurst, Tofu, Räucherfisch usw. wird viel Platz gewidmet. Die Regale haben Türen, die nicht einrasten, also leicht zu öffnen sind und keine Barriere mehr sind für die Kunden. „Die Stromersparnis ist enorm. Damit lässt sich das Gemüse kühlen“, erklärt Willmann.

Die Tiefkühlkost und die Wein-Abteilung sind eher kleiner geraten. „Hier sehen die Betreiber keine Möglichkeit sich zu profilieren. Das ist kein normaler Bio-Supermarkt. Der Markt ist stark frische-betont“, erläutert Willmann. Auch im Trockenbereich, der in Zusammenarbeit mit den GH paxan bestückt wird, werden regionale Produkte mit einem Regalstopper gekennzeichnet.

Die Eselsmühle betreibt einen Backstand mit Cafeteria. Die Demeter-Bäckerei backt frisch im Steinofen vor Ort. Das besonders knusprige und aromatische Brot kommt aus dem Holzofen. Mit gut 100 Artikeln glänzt die Eselsmühle nicht nur mit den Hauptartikeln Brot und Brötchen. Feingebäck, Kuchen und Torte in Bio-Qualität aus der eigenen Konditorei laden zur Kaffeepause ein. Urban mit dezenten Farben eingerichtet lockt die Eselsmühle auch ein Publikum wie Freiberufler und Selbstständige, die im Stuttgarter Westen einen hohen Anteil ausmachen.


Das Restaurant von Sabine Lässig legt den Schwerpunkt auf saisonale, regionale und vegetarische Speisen. Die Zutaten sind biologisch, teilweise aus Demeter-Anbau. Stilvoll eingerichtet mit 60 Plätzen kann hier von 11 bis 23 Uhr gespeist werden. Um die großzügige Theke als Angelpunkt sind die Tische angeordnet. Eine kleine Sitzecke lädt zum Feierabend-Bier oder Dämmer-Schoppen ein. Die Speisekarte ist in Leinen gebunden: Hier werden keine Pommes geschüttelt und Würste gedreht. Beim Durchblättern der Karte bekommt kein Schwabe einen Preisschock. Zwischen zehn und 20 Euro zahlt der Gast hier für ein biologisches Hauptgericht im mittleren Preisgefüge.

Waschbär bringt Non-Food


Der Waschbär sorgt für Textilien.{_umbruch_}
Neben Bio-Lebensmitteln deckt der Markt auch ökologisches Non-Food ab. In der oberen Etage hat der Öko-Versandhandel Waschbär aus Freiburg 310 Quadratmeter belegt. Textilien und Schuhe für Frauen ist die größte Warengruppe. Ein bescheidenes Männer-Sortiment wird ebenfalls präsentiert. Daneben gibt es noch Haushaltwaren. Der Versandhändler aus Freiburg hat im Raum Stuttgart zigtausend Kunden, die er in den Westen locken kann.

Minibär ist das Kindersortiment von Waschbär. Die Produkte werden überwiegend in Deutschland und Europa hergestellt. Baby- und Kindermode aus Baumwolle, Wolle aus kontrolliert biologischen Anbau (kbA), langlebiges Spielzeug in Formen- und Farbenreichtum und Materialien wie Holz, Wolle, Baumwolle sind ein Erlebnis für jedes Kind. Kindermöbel aus massivem Erlenholz aus nachhaltiger Forstwirtschaft sind biologisch geölt und gewachst.

„Blüte & Stil“ wird von der Floristin Claudia Schmid betrieben. Sie verwendet unter anderem Schnittblumen aus dem Flower Label Programm (FLP). Faire Arbeitsbedingungen mit gerechten Löhnen ohne Kinderarbeit zählen zu den Kriterien.

Die Bio-Markthalle ist montags bis samstags von 7 bis 20 Uhr geöffnet. Das Restaurant schließt erst um 23 Uhr und öffnet auch sonntags wie der Backshop +  Bistro. Kernzeiten sind 9:30 bis 19 Uhr. „Die Kunden sind begeistert, und auch ich freue mich. Die Halle ist toll geworden, hier kann man sich wohlfühlen“, erzählt Marie-Luise Zeuch von Buch&Spiel, die schon in der Bauernmarkthalle Bücher und Spielzeug verkauft hat und jetzt umgezogen ist.

Anton Großkinsky

 

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