Start / Ausgaben / BioPress 64 - August 2010 / Vollkommen inakzeptabel

Vollkommen inakzeptabel

AoeL zu den Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats zur Koexistenz von GVO.

Wie blanker Hohn klingt die jüngste Stellungnahme des „Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik“ in den Ohren der Assoziation ökologischer Lebensmittel-Hersteller (AoeL). Was dieser Beirat beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in seinem jetzt veröffentlichten Papier zu den Koexistenzregeln von Gentechnik in der Land- und Ernährungswirtschaft vorschlägt, „spiegelt eine unreflektierte Technikgläubigkeit wieder und widerspricht dem gesunden Menschenverstand“, sagt AoeL-Geschäftsführer Dr. Alexander Beck. Der Beirat folgt bei seinen Vorschlägen offenkundig engen politischen Vorgaben. Vollkommen zu Recht sei der Vorsitzende des Beirats wenige Tage vor der Veröffentlichung der Stellungnahme zurückgetreten.

Für die ökologischen Lebensmittel-Hersteller ist die Argumentation des Beirats vor allem in der Frage der Haftung bei Verunreinigung nicht nachvollziehbar. So heißt es in der Begründung zur Einrichtung eines Haftungsfonds unter anderem: „Eine Haftung für Kettenschäden durch den GVO-Landwirt ist nicht sinnvoll. Sie würde dazu führen, dass die GVO-Anbauer die kompletten Koexistenzkosten tragen müssten. Nicht-Gentechnik-verwendende Unternehmen in Lebensmittelindustrie und Handel hätten keine ökonomischen Anreize, selbst zur Vermeidung von Verunreinigungen beizutragen.“

Hier setzt sich die gleiche Paradoxie fort, wie sie heute bereits in der Landwirtschaft vorliegt. „Die Fraktion, die Pestizide und Kunstdünger einsetzt, wird so gut wie gar nicht reglementiert, die Fraktion der Ökobauern dagegen, die in Kreislaufwirtschaft und ohne Chemikalien arbeitet, unterliegt einer kostenaufwändigen Kontrolle. Fakt ist: Der Verbraucher will keine Gentechnik. Warum soll er letztendlich über den Preis die Kosten dafür tragen, dass dies in den Produkten gewährleistet ist?“, Alice Fridum, Verantwortliche für das Qualitätsmanagement bei Allos und Vorstandsmitglied der AoeL.

Weiter ist in der Stellungnahme zu lesen: „… kann die NGV-Kette auch wirtschaftliche Vorteile aus der Koexistenz durch die schärfere Profilierung ihrer Erzeugnisse erzielen.“ Darüber sind die ökologischen Lebensmittel-Hersteller erbost: „Wer hat denn das bitte ausgerechnet? Wir machen dieselben guten Lebensmittel wie seit jeher, müssen aber immense zusätzliche Kosten für Kontrollen der Zutaten und wegen kontaminierter Chargen tragen, damit andere ihren Spaß mit der angeblich so zukunftsträchtigen Gentechnologie haben. Wo bitte ist da der Wettbewerbsvorteil?“, fragt Joseph Wilhelm, Geschäftsführer von Rapunzel.

„Ebenfalls ausgeschlossen werden sollte der Haftungseintritt für Verunreinigungen unterhalb des EU-rechtlichen Kennzeichnungsschwellenwertes von 0,9 Prozent. Dieser Schwellenwert solle künftig nicht mehr nur „technisch unvermeidbare und zufällige GVO-Anteile“ betreffen: Der Beirat empfiehlt, das Vermischungsverbot durch eine Änderung des EU-Rechtes aufzuheben.

Das sieht Dr. Gernot Peppler, Geschäftsführer von Rack & Rüther Wurstwaren, als Angriff auf Bio-Hersteller schlechthin: „Auf diese Weise haben wir durch Akkumulation in der Natur und in der Kette ruckzuck die Stellschraube nach oben gedreht und können Gentechnikfreiheit über kurz oder lang abschaffen. Das kann ja nicht als Koexistenz verstanden werden.“ Das sagt übrigens der Beirat in der Begründung auch: „In der Wirtschaftspraxis hat sich jedoch herausgestellt, dass es in einer Welt, in der auch GVO-Produkte existieren, illusorisch ist, vollständige GVO-Freiheit zu realisieren.“

Allerdings kommen die ökologischen Lebensmittel-Hersteller zu einem ganz anderen Schluss: „Angesichts der unbeherrschbaren Risiken der Agro-Gentechnik fordern wir, von dieser Sackgassentechnologie abzulassen“, sagt Peter Geldner, Geschäftsführer der Meyermühle und Vorstand der AoeL und beruft sich auf den Weltagrarbericht 2008. Der sagt im Kern: „Nur die ökologischen Lebensmittel-Wirtschaft ist imstande, nachhaltige Strukturen für die gesunde Ernährung zu schaffen!“

Der Wissenschaftliche Beirat empfiehlt indes nicht nur seelenruhig, die gesamtschuldnerische Haftungsregelung bei gentechnischer Kontamination beizubehalten, sondern darüber hinaus: „die Einrichtung eines Haftungsfonds zur Deckung von Kettenschäden in der Landwirtschaft, die trotz Einhaltung der guten fachlichen Praxis auftreten. Die Kapitalunterlegung des Fonds könnte vom Staat und der Wirtschaft getragen werden.“

Diese Idee bezeichnet Dr. Ulrich Mautner vom Salus Haus als skandalös: „Es darf nicht sein, dass wenige Gentechnik-Anwender sich per Patentierung auf Leben ein Allgemeingut einverleiben und immense Gewinne einstreichen, auf der anderen Seite aber die Risiken dieser Technologie der Gesamtgesellschaft aufbürden!“

Johannes Doms, Geschäftsführer von HiPP, fordert deshalb die volle Produkthaftung wie sonst in der Industrie üblich: „Wer GVO-Patente kommerzialisiert, trägt eigentlich bereits heute per Gesetz die Produkthaftpflicht. Er hätte damit die Beobachtungspflicht und muss bei unerwünschten Folgen einstehen. Für die Inverkehrbringer von gentechnisch veränderten Pflanzen scheint aber eine eigene Produkthaftpflichtbefreiung für Agro-Gentechnik in Planung zu sein. Eine unbeherrschbare und unverantwortliche Technik erhält von der Politik Rechtsbeistand, der wesentliche Errungenschaften unserer freiheitlich demokratischen Gesellschaft in Frage stellt.“

 

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