Nürnberger Kongress für Naturkosmetik
Dynamik und Differenzierung bei grüner Kosmetik
Beim zweiten Naturkosmetik-Branchenkongress der Nürnberg Messe am 22. und 23. September 2009 informierten und diskutierten Fachleute über die Entwicklungen dieses wachsenden Marktes. Behandelt wurden unter anderem die Themen Markenpositionierung und innovative Vertriebskonzepte, überprüfbare Qualität sowie zielgruppengerechte Kundenansprache. Die 120 Teilnehmer nutzten die internationale Veranstaltung zugleich zu einem intensiven und offenen Erfahrungsaustausch.
v. l. n. r.: Bettina Bockhorst holt die unterschiedlichen Kunden-Typen mit verschiedenen Marken ab; Klara Ahlers setzt auf das Natrue-Siegel; Peter J. Bachmann plädiert für starke Marken.
Der Umsatz mit Naturkosmetik nimmt weiterhin zu, laut Organic Monitor jährlich um eine Milliarde US-Dollar. Die Nachfrage konzentriert sich dabei besonders auf Europa und Nordamerika. „Green consuming ist in, und der Markt für Naturkosmetik profitiert davon“, sagte die Programmvorsitzende Elfriede Dambacher, die mehr als 25 Jahre Erfahrung im Bereich grüne Kosmetik besitzt und mit ihrem Unternehmen naturkosmetik konzepte Hersteller und Handelsunternehmen berät. Aktuell vollziehe sich ein Wechsel von einem starken Nachfrage- zu einem Angebotsmarkt, ergänzte sie. In ihrem umfassenden Einführungsvortrag berichtete sie darüber, wie sich dieser Markt gestaltet.
Die heutige Gesellschaft ist geprägt von einem Perspektivenwechsel. Alternative Energien und Rohstoffe gewinnen an Bedeutung, ebenso wie sozialer und ethischer Reichtum. Naturkosmetik profitiert überproportional von diesem Wertewandel und erreicht täglich mehr Verbraucher. Laut GfK kauft ein Fünftel aller Deutschen inzwischen Naturkosmetik. „Jede Kosmetik muss dabei vorrangig ihren funktionellen Zweck erfüllen“, stellte Dambacher fest.
Wegen häufig bestehender Unsicherheiten bezüglich einer eindeutigen Klassifizierung von Naturkosmetik ordnet die Expertin für ihre Marktstudien jede Marke anhand klarer Kriterien entweder Kosmetik, naturnaher Kosmetik oder richtiger Naturkosmetik zu. Basierend auf diesem Ampelsystem betrug der Anteil von Naturkosmetik am Gesamtmarkt im vergangenen Jahr 5,34 Prozent und der von naturnaher Kosmetik 3,37 Prozent. Die Zunahme der Käuferreichweite für reine Naturkosmetik übertraf die für naturnahe Kosmetik dabei um mehr als das Doppelte (plus 17 bzw. plus sieben Prozent). Betrachtet man die Veränderungsraten der Ausgaben, zeigte sich Naturkosmetik ebenfalls als klarer Gewinner. Die Ausgaben für konventionelle Kosmetik sanken dagegen um 5,5 Prozent.
Insgesamt gaben die Deutschen 2008 damit rund 672 Millionen Euro für Naturkosmetik aus. Das entspricht einen Mehrumsatz von rund 60 Millionen Euro im Vergleich zu 2007. Und die führenden Hersteller rechnen weiterhin mit Wachstum, wenn auch weniger stark als bisher. „Zum einem wird Kosmetik grüner, zum anderem professionalisiert sich der Markt“, fasste Dambacher zusammen.
Naturkosmetik kann mit passendem Konzept und Markenauftritt auch in dem schwierigen Umfeld eines hochpreisigen Marktes Erfolge feiern. So lautete das Fazit von Katharina Loeper vom Marktforschungsinstitut Information Resources, IRI. Anhand der Ergebnisse aus den IRI-Shopper Studien 2008 und 2009 konnte sie die Ausführungen von Elfriede Dambacher bestätigen. Die Shopper-Studien fußten auf Umsatzzahlen aus dem Lebensmitteleinzelhandel,Drogeriemärkten, Parfümerien sowie Kauf- und Warenhäusern.
Mehr als zwei Drittel des Umsatzes mit Körperpflege- und Kosmetikprodukten fielen auf Drogeriemärkte sowie auf Parfümerien bzw. Warenhäuser. Der gemeinsame Marktanteil von Naturkosmetik und naturnaher Kosmetik in Drogerien sowie im Lebensmittelhandel lag zwar bei unter zehn Prozent. Doch beide Segmente verbuchten damit von 2008 zu 2009 klare Zuwächse, und zwar um 7,6 bzw. um 3,2 Prozent. Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studien lautete, dass die knapp 8.300 Verbrauchermärkte Deutschlands stärker als der Discount mit 15.000 Geschäften sind.
Bei der Frage, welche Warengruppen sich positiv entwickelten, zeigte sich einerseits ein Nachfrageplus bei Gesichtspflege und Shampoos, andererseits bei dekorativer Kosmetik. Loeper begründete dies mit dem so genannten Lipstick-Effekt: „Wenn es den Menschen finanziell schlechter geht, dann möchten sie wenigstens mit einem schönen Lippenstift kontern.“ Wie ihr anschließend vorgestellter anonymer Vergleich einer bekannten konventionellen Kosmetik- mit einer kleinen Naturkosmetikmarke zeigte, hat letztere vor allem Kundinnen aus der Altersgruppe 40 plus angelockt.
Weiterhin ergab die vergleichende Betrachtung, dass sich die Naturkosmetikmarke trotz geringerer Distribution schneller gedreht hat. Neben der Wirksamkeit seien für die Käuferinnen von Naturkosmetik auch das Image der Marke sowie Testberichte wichtig, meinte Loeper. Die Branche sollte deshalb Wert auf eine regelmäßige Vermittlung des Markenimages legen, sich klar positionieren und das Potenzial aktueller Trends nutzen.
Die Erfolgsfaktoren seiner Marke zu erkennen und durch ein Regelwerk zu stärken, empfahl auch Peter J. Bachmann von der Wirtschaftsberatung Signum Forte. Ebenso sei es wichtig, die Marke nicht nur abstrakt, sondern konkret zu beschreiben und damit differenzierbar zu machen. Dabei gelinge der Aufbau eines Images nur über langfristige Handlungen.
Neue Vermarktungskonzepte für Naturkosmetik
Der Markt für Naturkosmetik wird zunehmend vielgestaltiger, und der Wettbewerb im Regal steigt. Nach Pionieren wie Weleda, Dr. Hauschka, Logona oder Lavera, die vorwiegend in Deutschland ihre Wurzeln haben und das Bild im In- und Ausland prägen, erobern auch junge, kleine Marken Nischen.
Zugleich bringen immer mehr Hersteller aus dem konventionellen oder dem naturnahen Segment eine Naturkosmetikserie auf den Markt, unter anderem Korres (Griechenland), Origins (Estée Lauder, München) oder L’Occitane (Frankreich). Teilweise haben sie dafür Naturkosmetikfirmen übernommen, so wie Sanoflore jetzt dem L’Oréal-Konzern gehört. Dynamisch entwickelt sich vor allem der Markt mit – gesiegelten – Handelsmarken. Seit 2007 wachsen sie stärker als Herstellermarken. Beispiele sind dm mit Alverde, Rossmann mit Alterra oder Müller mit Terra Naturi. Die Edeka Minden-Hannover nennt ihre Naturkosmetik-Linie Vivelle. Das Sortiment liegt generell im Preiseinstiegsbereich. Angeboten werden die gefragtesten Produkte, wobei pflegende Kosmetik im Vordergrund steht.
Bezüglich der Einkaufsstätten für Naturkosmetik fällt auf, dass hierzulande die Drogeriemärkte besonders erfolgreich sind. Sie konnten ihren Marktanteil 2008 auf 31 Prozent ausbauen, gefolgt vom Naturkostfachhandel mit 22, Reformhäusern mit 15 und dem LEH mit fast acht Prozent.
Zwei Praxisbeispiele für neue Vermarktungskonzepte lernten die Kongress-Teilnehmer mit dem Apotheken-Angebot greenglam und dem Ladenkonzept Autrepart Nature kennen. Noch ist das Angebot von Naturkosmetik in Apotheken überschaubar. Dr. Stefan Kraus sieht hier aber eine Chance und legt bei seinen Apotheken in Augsburg einen Schwerpunkt auf den Naturkosmetik-Sektor.
Er führt sowohl exklusive Weltmarken als auch Klassiker, die er zugleich über eine eigene Internetplattform vermarktet. Zu dem Angebot passen Bereiche wie Phytotherapie, Ernährungsberatung oder Homöopathie sowie ein Apothekergarten.
Irene Domberger leitete früher vier The Body Shop-Geschäfte. Derzeit führt sie zusammen mit einem französischen Produzenten in Stuttgart ein neues Ladenkonzept ein. Hier sollen Hersteller integriert werden, die ausschließlich natürliche Produkte mit Schwerpunkt Bio anbieten. Als Erlebnismarkt mit einzigartigem Design will Autrepart Nature ein vollständiges Produktangebot plus individuelle Beratung bieten.
In einer anschließenden Diskussion mit Herstellern von Naturkosmetik und Vertretern verschiedener Handelskonzepte stellten die Teilnehmer fest, dass die Kunden viel bewusster einkaufen als früher. Glaubwürdigkeit wird immer wichtiger. Dies müsse sich sowohl in der Marke als auch in den Märkten und dem Personal widerspiegeln. Unabhängig davon, ob man selektiv nur einige bestimmte Produkte anbiete oder ob man eine breit gefächerte Distribution favorisiere.
Bettina Bockhorst von Logocos betonte: „Der Kunde steuert den Markt.“ Es gebe jedoch nicht den Kunden an sich, sondern verschiedene Typen. Mit mittlerweile sieben Marken will Logocos unterschiedliche Kundenbedürfnisse befriedigen und die Kunden an ihrem bevorzugten Einkaufsort abholen.
Andreas Sommer von Weleda nannte für sein Unternehmen die Herausforderung, neue Kunden mit einem breiteren, undogmatischen Werteanspruch zu erreichen und dabei man selbst zu bleiben. Dabei könnten Händler mit einer breit aufgestellten und etablierten Marke wie Weleda aber gut Werte für ihr Unternehmen schaffen.
Peter Bachmann, Signum Forte, meinte dazu: „Die Hersteller sollten nichtsdestotrotz Anforderungen an die Platzierung ihrer Waren und die Kompetenz des Personals stellen.“ Im LEH und Drogeriemärkten empfiehlt es sich, dass die Produkte mit ihren Verpackungen auch SB-fähig sind. Christoph Wöhlke von Budniskowsky, der vor einem Preisdumping bei Naturkosmetik warnte, verwies hier ergänzend auf die Möglichkeit der Hersteller-Homepages als Informationsplattform.
Weil häufig bloßes ‚green washing’ betrieben werde, komme der Kommunikation am POS aber eine immer stärkere Bedeutung zu, meinte dagegen Elfriede Dambacher. Eine Herausforderung liege zum Beispiel darin, den Verzicht auf bestimmte Rohstoffe zu erklären. So erleichtern Petrochemikalien, Parabene, Silikone und andere die Herstellung, Anwendbarkeit und Haltbarkeit. Da sie aber Risiken für die Gesundheit bergen können und die Umwelt belasten, verzichten Naturkosmetik-Hersteller darauf.
In einer weiteren Gesprächsrunde ging es um die Frage ‚Wie grün wird der Markt?’ Pflanzenwirkstoffe lösen High Tec Wirkstoffe ab. Gelee Royal etwa, galt lange Zeit als altmodisch. Heute boomt der Naturstoff wieder. Ähnliche Erfolgserlebnisse verbuchen Minerals und Vegetables. Diese Stoffe mineralischen und pflanzlichen Ursprungs sind schon von Anfang in Naturkosmetik zu finden.
Nicht nur Gerd Weiler von Sanoflore lobte dann auch das enorme Know-how der Naturkosmetik-Pioniere. Die Marke wird wichtiger als ein Label. Das Thema Zertifizierung und Label-Vielfalt nahm bei dem Branchentreffen dennoch breiten Raum ein. Dr. Wilfried Petersen von der Dr. Straetmans GmbH erläuterte dazu Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener Siegel. Unterschiede bestehen zum Beispiel bei den Initiatoren. So stehen mal staatliche und nicht-staatliche Organisationen für ökologischen Landbau dahinter, mal Zertifizierungsorganisationen für ökologischen Landbau und mal Interessensvertreter von Kosmetikproduzenten oder sonstige nicht-staatliche Organisationen. Außerdem unterscheiden sich die Siegel bei Mindestmengen und Berechnung des Anteils an Bio-Rohstoffen, dem Anteil an Petrochemie, zugelassenen Lösungs- und Konservierungsmittel oder chemischen Modifikationen und Tierversuchsfreiheit.
Schließlich gibt es auch Unterschiede bei der Gültigkeit. Europaweit gelten das dreistufige NaTrue-Label und der im September veröffentlichte Cosmos-Standard. Cosmos wurde gemeinsam vom BDIH (Deutschland), Bioforum (Belgien), Cosmebio und Ecocert (Frankreich), ICEA (Italien) und Soil Association (UK) entwickelt, wobei deren Logos weiter verwendet werden sollen. Der Standard stellt konkrete Forderungen, doch ist das Zertifizierungssystem noch nicht genau definiert.
Klara Ahlers von Laverana sagte: „Wir setzen rund 300 Bio-Rohstoffe ein, von denen wir 220 selber herstellen. Das für uns Normale muss aber deutlicher herausgestellt werden.“ Laverana nimmt diese Aufgabe derzeit bei der Wellnesspflege Body Spa mit mittlerweile 54 Produkten in Angriff: Nach dem aktuellen Relaunch werden die Packungen das NaTrue Siegel tragen. Das eigene Bio-Label informiert weiterhin darüber, dass die eingesetzten Bio-Extrakte von Laverana selbst hergestellt wurden. Ein Fazit der folgenden Diskussion lautete: Wichtiger als welches Siegel, sei überhaupt eine Entscheidung.
Bettina Pabel