Senkrechtstarter Roggenkamp Organics
Bio-Neuling debütiert mit frischen Suppen und entwickelt mit Sterneköchen neue Produkte
Stefan Roggenkamp, 38, und seine Frau Sandra, 37, sind Quereinsteiger in den Bio-Markt. Bis 2005 arbeitete Roggenkamp als Direktor im Wertpapierhandel bei einer Investment-Bank in London. Dann kehrte der Oxford-Absolvent zurück in die Heimat, um sich seiner an Demenz erkrankten Mutter anzunehmen. Zusammen mit seiner Frau gründete der Feinschmecker die Roggenkamp Organics AG und errichtete die Deutsche Demenz-Stiftung Vergissmeinnicht. Jetzt kochen die Mitarbeiter im ostwestfälischen Herzebrock-Clarholz in voluminösen Kesseln frische Suppen für die Kühlregale des Handels, und die Gründer engagieren sich zusätzlich als soziale Unternehmer in der Stiftung.
Stefan Roggenkamp zeigt die Abfüll-Maschine für die frische Convenience im Bio-Betrieb in Herzebrock-Clarholz.
Im September 2006 in Köln auf dem 2. Bio Handelsforum standen die Jung-Unternehmer Sandra Janotta-Roggenkamp und Stefan Roggenkamp hinter drei Suppen-Töpfen und reichten Probier-Portionen. Sie präsentierten auf bescheidenen neun Quadratmetern ihre Idee der frischen Suppen fürs Kühlregal, damals einzigartig in Deutschland. Raffiniert gewürzt mit rundem Geschmack ernteten sie zustimmendes Kopf-Nicken bis laut ausgesprochenes Lob. Nach den positiven Reaktionen gründeten die Beiden die Roggenkamp Organics AG, kauften im November 2006 das Produktionsgebäude einer insolventen Corned Beef Fabrik und rüsteten diese zur modernen, bio-zertifizierten Cook & Chill-Produktion für frische Fertiggerichte um. Sandra Janotta-Roggenkamp führt als Vorstand die Geschäfte der AG, während sich Stefan Roggenkamp als Vorstand in erster Linie um die Demenz-Stiftung kümmert.
Zwei Jahre später steht die frische Convenience aus Herzebrock-Clarholz in mehr als 600 Verkaufsstellen. Der Umsatz ist mit knapp einer Million Euro im Jahr 2008 noch recht bescheiden, aber das junge Bio-Unternehmen mit acht Mitarbeitern hat bereits eine Erfolgsgeschichte geschrieben. „Die Markteinführung und die weitere Produktentwicklung kosten ein Vermögen. Aber wir sind im operativen Geschäft schon im schwarzen Bereich. Mit dem Durchbruch hatten wir erst 2009 gerechnet. Die Umsätze haben sich deutlich positiver entwickelt als gedacht”, zieht er Bilanz.
„Wir schauen durch die Augen der Kunden”, sagt Roggenkamp. Manches, was Sandra und Stefan Roggenkamp gerne kaufen würden, finden sie nicht im Supermarkt. Die unerfüllten Wünsche sind ihre Produktideen. Für die Umsetzung verpflichteten sie Thomas Bühner und Achim Schwekendiek, die Sterneköche entwickelten die frischen Produkte der Roggenkamp Organics. „Wir hätten die normalen Klassiker wie Erbseneintopf oder Gulaschsuppe machen können. Aber wir wollten etwas besonderes machen”.
Das Konzept Frische Suppen kannte Roggenkamp aus seiner Zeit in Großbritannien, wo er in London als Abteilungsleiter in einer Investment-Bank wirkte. Der britische Einzelhandel setzt mit diesem Produktsegment jährlich etwa 400 Millionen Euro um. Wenn das Potenzial in Deutschland nur halb so groß ist, hat das junge Unternehmen glänzende Aussichten. „Wir sind nach wie vor der einzige Hersteller in Deutschland. Aber bald wollen Nachahmer kommen”, hat er gehört. Darauf ist man schon vorbereitet: „Wir haben einen frischen Risotto entwickelt. Das ist ebenfalls eine Innovation, und weitere neue Ideen werden folgen.”
Dass er 2005 die gut dotierte Stellung in einem Londoner Bankhaus aufgegeben hat, bereut er nicht: „Bei der Bank steht am Ende eine Zahl. Hier erfreue ich mich am Produkt, wenn ich es in der Hand halte und sehe, was wir geschaffen haben. Auch wenn man gelegentlich einen Kleinkrieg ums Geld führen muss”. Das brauchte der Bank-Manager Roggenkamp natürlich nicht.
Die Küche mit den riesigen Kesseln in der Bio-Manufaktur.
Ostwestfalen als idealer Standort
Die Dieselstraße zieht sich durchs Industriegebiet von Herzebrock-Clarholz in Ostwestfalen. An einer Abzweigung weist ein Schild zur Roggenkamp Organics AG. Ein rotes, flaches, verklinkertes Gebäude beherbergt die knapp 7.000 Quadratmeter große Produktion. In den Büros führt Sandra Janotta-Roggenkamp die Geschäfte. „Hier ist der ideale Standort, wenn sie Lebensmittel produzieren wollen. Ostwestfalen ist als Lebensmittel-Standort mit der Industrialisierung des Ruhrgebiets gewachsen: Denken Sie nur an Dr. Oetker,” erzählt Roggenkamp. Von hier wurden die Bergbau-Städte mit Nahrung versorgt. Deshalb existiert eine hervorragende Infrastruktur: Lebensmittel-Logistiker wie Kraftverkehr Nagel mit Sitz inVersmold haben Standorte in der Region.
In vier Kesseln mit je 800 Liter und zwei mit je 500 Liter wird Suppe gekocht. Morgens um fünf holen die Köche das frische Gemüse aus dem Kühllager und beginnen mit der Produktion. „Tiefkühl-Ware verwenden wir nicht. Das würde ich zuhause auch nicht tun,” erläutert er. Wie hausgemacht sollen die Produkte aus der Manufaktur in Herzebrock-Clarholz sein. Der Kiebitzhof, ein Bioland-Betrieb und Teil der Werkstatt für behinderte Menschen im Kreis Gütersloh, liefert das frische Gemüse küchenfertig: Gewaschen, geputzt und geschnitten kommt es in Herzebrock-Clarholz an. Die Trockenprodukte liefert Davert, ebenfalls in NRW ansässig. Das Alte Gewürzamt von Ingo Holland aus Klingenberg am Main zählt zu den Lieferanten. Holland, ehemaliger Sternekoch, gilt den Feinschmeckern als der Gewürz-Guru.
Bei Roggenkamps legt man Wert auf eine gewisse Regionalität in Verbindung mit Saisonalität. Verbundenheit mit der Region bedeutet aber nicht westfälische Gerichte wie Pickart oder Grünkohl. „Sie müssen daran denken, dass unsere Produkte vorwiegend in der Großstadt konsumiert werden,” erklärt Roggenkamp. Für sie spielt die Saison der Produkte noch eine Rolle, Kürbis-Suppe kocht die Manufaktur im Herbst und Winter. Im Frühling und Sommer ist dann Pause. „Unsere Zutaten sammeln keine Flugmeilen. Deshalb richtet sich unser Sortiment nach den Jahreszeiten,” schreibt Janotta-Roggenkamp auf der Internetseite ihres Unternehmens.
Demokratisierung des guten Geschmacks
Eine halbe bis eine Stunde je nach Rezeptur köcheln die Suppen. Abgefüllt wird in leichte, elegante Becher, die anschließend in den Kühlraum gebracht werden. Zwei Gebläse erzeugen eine Windgeschwindigkeit von 70 Kilometer pro Stunde. Das bringt die noch heiße Suppe schnell auf Kühlschranktemperatur. Cook and Chill heißt das Verfahren. Das schont die Vitamine und Nährstoffe, erhält die Farbe und sorgt für eine Haltbarkeit von drei Wochen in der Kühlung. Pastinaken-Apfelsuppe mit Ahornsirup, Kürbissuppe mit Thai-Basilikum. Beluga-Linsensuppe mit Cashmir-Curry, Kartoffelsuppe mit Tandoori, Rote Beete Suppe mit Dill, Karottensuppe mit Koriander, Marokkanische Linsensuppe mit Datteln und Mandeln, Kokossuppe mit Madras-Curry. Die Rezepte klingen originell und exotisch mit einem asiatischen Einschlag.
Mit Gourmet-Produkten in Bio-Qualität im Kühlregal demokratisiert das Bio-Unternehmen die gehobene Küche. „Gourmet ist eine Geisteshaltung und kein soziales Prestigeabzeichen. Bei Gourmet geht es um eine besondere Einstellung zum Essen, und das gilt auch für den Bio-Gedanken,” betont Sandra Janotta-Roggenkamp.
Allerdings hat die frische Suppe nicht nur geschmackliche Vorteile vor trockenen Tüten-Suppen. Aus frischen Zutaten bereitet ist sie bekömmlicher. Außerdem sind die Suppen fettarm, wie eine moderne Ernährung es verlangt. Die Rezepturen basieren auf gehaltvollen Gemüse- oder Rinder-Fonds, die im Langzeitverfahren selbst hergestellt werden. Die Suppen sind also nicht unbedingt vegetarisch.
„Der Produktionstag ist gleichzeitig Logistiktag;” so der Vorstand. Nagel rollt um 13 Uhr mit dem Kühl-LKW an und verlädt die vorkommissionierte Ware und verteilt sie dann über sein Zentrallager in Borgholzhausen.
Convenience für Feinschmecker
„Bei Lebensmitteln sind mehr als 70 Prozent aller Innovationen nach einem Jahr wieder vom Markt verschwunden,” weiß Roggenkamp. Nach zwei Jahren verkaufen mehr als 600 Märkte inzwischen die kühlpflichtigen Bio-Fertiggerichte für 3,99 Euro pro 500 Milliliter-Becher. Die Erfinder vertreiben ihre Produkte selbst: „Wir haben keine Handelsagentur beauftragt. Unser Geschäft ist sehr persönlich. Wir arbeiten direkt mit den Partnern im Einzelhandel.”
Bei Galeria Kaufhof, Delhaize, Struve in Hamburg oder Käfer in München sind die Premium-Produkte erhältlich. Auch den Sprung in die deutschsprachigen Nachbarländer hat das Unternehmen schon gewagt. Und in die skandinavischen Länder Dänemark und Schweden exportiert der Bio-Hersteller ebenfalls.
„Wir wollen natürlich, dass unsere Produkte auch in der Region vertreten sind,” sagt Roggenkamp. In Gütersloh bei Delikatessen Schenke sind die Suppen-Becher ebenso zu finden wie in den Super Bio-Märkten von Michael Radau aus Münster.
Eine heiße Suppe wird bevorzugt im Winter gegessen. Im Sommer herrscht dagegen Flaute. Da wünscht sich der Kunde eher kaltes Eis. Roggenkamp Organics hat zu Weihnachten ein Eis auf den Markt gebracht, „weil der Dezember ein starker Monat ist.” Es wird beim Festschmaus als Dessert genossen. Ansonsten schließt das Eis das Sommerloch. Natürlich ist Premium auch hier die Leitlinie. Die Konditorei Fritzenkötter, ein seit 1887 bestehender Familienbetrieb aus Gütersloh, hat die Rezepte entwickelt. Wieder setzen die Roggenkamps auf eine regionale Zusammenarbeit.
Roggenkamp Organics Eis steht für traditionelle Rezepturen und handwerkliche Herstellung. So bilden Eier die Basis für die Emulsion und nicht billigeres Johannisbrotkernmehl. Gesüßt wird mit Rohrzucker statt Glucosesirup. Tierische Fette werden nicht gegen pflanzliche Fette ausgetauscht. „Wir wollten ein Produkt ohne Farb- und Aromastoffe machen, das wirklich gut schmeckt,” erzählt Roggenkamp.
Wenig Luftzuschuss ist ein weiteres Qualitätsmerkmal der Eiscreme. Bei einem Volumen von 500 Milliliter erhält der Kunde 360 bis 390 Gramm Masse. Dieser Wert liegt deutlich über dem Durchschnitt.
Der VK beträgt etwa fünf Euro und befindet sich damit im Bereich dessen, was für Bio-Eis üblich ist. „Es geht immer auch um einen fairen Preis für den Verbraucher,” so die Unternehmerin Sandra Janotta-Roggenkamp.
Die neue Produktlinie „Frische Baby-Nahrung” steht ebenfalls kurz vor der Markteinführung. Dafür konnten die Roggenkamps die Fernseh-Köchin Sarah Wiener für eine Zusammenarbeit in der Entwicklung gewinnen. „Wir machen eine Baby-Nahrung, die eben nicht so lange haltbar ist, bis ihr Kind in den Kindergarten kommt, dafür hat unsere Baby-Nahrung aber alle Vitamine, Nährstoffe und Aromen,” stellt Rogenkamp fest. Sandra Janotta-Roggenkamp will die Kinder von klein auf an frische Kost gewöhnen und helfen, den Geschmackssinn zu entwickeln. Als Ganzjahresprodukt lastet die Baby-Kost kontinuierlich die Produktion aus. 15 Artikeln an Baby-Kost, sechs Sorten Eiscreme, vier Sorten Risotto ergeben zusammen mit den neun Suppen ein Bio-Sortiment von 34 Produkten.
Der Name des Unternehmens ist die Marke. Das Unternehmen heißt Roggenkamp Organics und die Produkte heißen so. „Wir wollen unverwechselbar und nicht austauschbar sein. Es wird keine Zweitmarke und keine Private Labels geben. Irgendwann wird es der Kunde merken,” prophezeit Roggenkamp. Frische, unverfälschte, verzehrfertig Bio-Feinkost in den Handel zu bringen ist die zentrale Idee des Unternehmens.