Start / Ausgaben / bioPress 125 - Okt 2025 / Wir stärken die Widerstandsfähigkeit des ukrainischen Bio-Sektors!

Länder

Wir stärken die Widerstandsfähigkeit des ukrainischen Bio-Sektors!

bioPress-Korrespondent Peter Jossi im Gespräch mit Olena Deineko

Wir stärken die Widerstandsfähigkeit des ukrainischen Bio-Sektors! © Bildquelle: Silpo
Ukrainische Bio-Produzentinnen und -Produzenten nahmen von April bis Juni 2024 am ‚Organic Fest‘ teil, einem Festival für Bio-Produkte, das von der ukrainischen LEH-Kette Silpo in Zusammenarbeit mit der Organic Initiative organisiert und veranstaltet wurde.

Trotz des Krieges, erschwerter Logistik, geschwächter Kaufkraft und Fachkräftemangel kann sich der Bio-Sektor in der Ukraine weiterhin behaupten. Olena Deineko, Koordinatorin und Vorstandsvorsitzende der Organic Initiative Public Association, berichtet im Interview mit bioPress von den zentralen Herausforderungen – und zeigt, wie Online-Marketing, E-Commerce und entsprechende Weiterbildungsprojekte neue Marktchancen eröffnen.

bioPress: Was sind derzeit die größten Herausforderungen für den Bio-Sektor in der Ukraine?

Olena Deineko: Auf den Exportmärkten sind die größten Herausforderungen die erschwerte Logistik, hohe Zertifizierungskosten sowie die instabilen Auftragsvolumina aufgrund des Krieges und der globalen Unsicherheit allgemein. Darüber hinaus sind Unternehmen – insbesondere kleine – mit Burnout und Personalmangel konfrontiert.

Auf dem heimischen Markt zeigt sich die geschwächte Kaufkraft und die Situation insgesamt hat zudem zu einem Rückgang der Inlandnachfrage geführt. Die Verstärkung der Online-Vermarktung kann dazu beitragen, dies teilweise auszugleichen. 

Vielen fehlen die Ressourcen und das technische Wissen, um ihre Produkte online zu verkaufen. Die Marketing- und Digitalkompetenzen sind begrenzt. Es besteht ein dringender Bedarf an Fachwissen in den Bereichen Digitaltechnik, Logistik und Vertrieb. Gleichzeitig arbeiten wir an einer stärkeren Sensibilisierung der Verbraucher für zertifizierte und entsprechend gekennzeichnete Bioprodukte und deren Vorteile.

bioPress: Welche Zukunftsperspektiven hat das Online-Marketing in der Ukraine angesichts der aktuellen Lage?

Deineko: Trotz des Krieges wächst das Online-Marketing in der Ukraine stetig. Was als Anpassung an Kriegszeiten begann, hat sich zu einer wichtigen Säule der Widerstandsfähigkeit und des zukünftigen Wachstums entwickelt. Online-Kanäle bieten eine kosteneffiziente Distribution, direkte Kundenbindung über Chatbots, Newsletter sowie soziale Medien und ermöglichen zudem eine flexible Reaktion auf Marktveränderungen.

Unser Experte Oleksandr Ratushniuk sagt dazu: „Der Online-Verkauf von Lebensmitteln nimmt weiter zu. Die Verbraucher gewöhnen sich an die Bequemlichkeit des E-Commerce, insbesondere dort, wo das Einkaufen vor Ort eingeschränkt ist. Dieser Trend ist stabil und beschleunigt sich.“ Ukrainische Marktplätze wie Rozetka und Prom.ua sowie Instagram und Facebook sind für kleine Produzenten zu unverzichtbaren Werkzeugen geworden.

Unsere Ausbildungskurse setzen hier an und zeigen bereits konkrete Wirkung. Die E-Commerce-Verkäufe von Lebensmitteln sind in einigen Kanälen in den letzten ein bis zwei Jahren um 100 bis 300 Prozent gestiegen. Dies eröffnet echte Chancen für kleine und kleinste Bio-Marken – insbesondere für solche, die nur über begrenzten Offline-Zugang und Marketingbudgets verfügen.

bioPress: Wie waren die Weiterbildungsprojekte konkret aufgebaut?

Deineko: Das erste Projekt fand im Herbst und Winter 2024 statt. Zwischen dem 21. November und dem 18. Dezember 2024 führte die Organic Initiative Public Association einen nationalen Online-Kurs mit dem Titel ‚Online-Handel mit Bio-Produkten in der Ukraine‘ durch. Er war speziell für Kleinst- und Kleinunternehmen im Bio-Bereich konzipiert, die sich während des Krieges schnell an neue Vertriebsformate anpassen mussten. Der Kurs sollte Unternehmen dabei helfen, moderne Tools für den Online-B2C-Vertrieb zu verstehen und zu nutzen. Dies war die erste spezielle Schulung dieser Art im Bio-Sektor der Ukraine, die vielen Unternehmen half, den Online-Vertrieb als nachhaltige Alternative zum traditionellen Einzelhandel zu erkunden.

Das zweite Projekt fand im Verlauf Frühjahr-Sommer 2025 statt. Dieser Kursteil diente der praktischen Anwendung. Wir haben fünf ausgewählte Bio-Marken direkt bei der Einführung ihrer Produkte auf dem Rozetka-Marktplatz unterstützt. Das Programm umfasste ein maßgeschneidertes Mentoring bei der Einrichtung von Konten, dem Testen von Tools für den Online-Vertrieb, der Erstellung von Inhalten und der Entwicklung von Strategien und Werbekampagnen. Dabei haben wir mit Fotografen, Marketing- und Analysefachleuten zusammengearbeitet. 

Die Teilnehmenden sammelten in beiden Kursteilen viele praktische Erkenntnisse, um das Modell später auf andere Unternehmen auszuweiten. Zusammen zielen diese beiden Projekte darauf ab, Bio-Produzenten mit digitalen Kompetenzen auszustatten und ihnen zu helfen, sich langfristig auf dem ukrainischen Online-Lebensmittelmarkt zu etablieren.

bioPress: Stichwort ‚Qualifizierte Arbeitskräfte‘: Welche Herausforderungen gibt es aktuell? 

Deineko: Die Situation auf dem Arbeitsmarkt bleibt schwierig: Einige Fachkräfte sind für die ukrainischen Streitkräfte mobilisiert oder haben das Land verlassen. Vor allem in kleineren Unternehmen sind die verbleibenden Teams überlastet und emotional ausgelaugt. Burnout ist weit verbreitet, was Flexibilität und Wachstum einschränkt.

Der Mangel ist besonders gravierend in den Bereichen digitales Marketing, Online-Vertrieb, Social Media-Marketing und Logistik. Diese Lücken werden durch die Notwendigkeit, Bio-Standards und das Verbraucherverhalten zu verstehen, noch verstärkt.

Um dem entgegenzuwirken, ergreifen wir konkrete Schritte:

  • Schulungsprogramme wie unsere Online-Kurse helfen dabei, die Fähigkeiten der bestehenden Mitarbeitenden zu verbessern.
  • Die gegenseitige Unterstützung und der Austausch von Fachkräften zwischen Unternehmen können Lücken schließen.
  • Die Unterstützung durch internationale Geldgeber ist entscheidend für die Finanzierung von Beratern und Technologieexperten.
  • Inkubationsmodelle wie Minizuschüsse oder fachliches Mentoring können gezielte Hilfe bieten.

Letztendlich sind Investitionen in Menschen unerlässlich, um die Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des ukrainischen Bio-Sektors zu gewährleisten – sowohl während des Krieges als auch langfristig.
 

Organic Initiative
Die ‚Organic Initiative Public Association‘ ist eine Plattform wichtiger ukrainischer Akteure im Bereich der ökologischen Landwirtschaft, deren Ziel es ist, den Handel mit ökologischen Mehrwertprodukten auf dem heimischen und internationalen Markt zu fördern und zur allgemeinen Entwicklung des Bio-Sektors in der Ukraine beizutragen. 

 

Online-Handel mit Bio-Produkten in der Ukraine
81 registrierte Personen aus der ganzen Ukraine nahmen an dem Kurs teil – darunter Unternehmensgründer, Vertriebsleiter und Marketingfachleute aus zertifizierten Bio-Unternehmen.

Ausbildungsphase (2024)
Der Kurs zielte darauf ab, Unternehmen dabei zu helfen, moderne Tools für den Online-B2C-Vertrieb zu verstehen und zu nutzen. Zu den wichtigsten Themen gehörten:
- Verkaufsstart über Marktplätze (Rozetka, Prom.ua, Khoroshop)
- Erstellung von Online-Shops und Chatbots von Grund auf
- digitale Marketing- und Werbetools
- Aufbau von Kundenbindung
- Automatisierungs- und CRM-Systeme für kleine Unternehmen

Praktische Phase (2025) 
Die zweite Phase umfasste:
- Anwendung in der Praxis: Produktseiten, Logistik, Anzeigen, Analysen
- Einbindung externer Experten für Marketing, Design und Strategie
- Maßgeschneidertes Mentoring: Einrichtung von Konten, Erstellung von Inhalten, Werbekampagnen
- Zusammenarbeit mit Fotografen, Marketingfachleuten und Analyseexperten
- Testen von Tools und Strategien für den Online-Vertrieb in der Praxis
- Sammeln praktischer Erkenntnisse, um das Modell später auf andere Unternehmen zu übertragen

Projektunterstützung
- Veranstalter: Organic Initiative Public Association (Ukraine)
- Finanziell unterstützt durch:
    Deutsch-Ukrainische Zusammenarbeit im ökologischen Landbau (COA) 
- Gefördert durch das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat 
[ Artikel drucken ]


Das könnte Sie auch interessieren

Fachkräfte-Offensive für Bio-Ukraine 

Bildungsinvestitionen sorgen für Weiterentwicklung des Ökolandbaus

Fachkräfte-Offensive für Bio-Ukraine  © COA

Mit vielfältigen Aus- und Weiterbildungs-Aktivitäten festigt die ukrainische Biobranche derzeit ihre Kompetenz trotz der schwierigen Kriegsbedingungen mit der Zukunft im Blick. Der Fachkräfte-Mangel erweist sich angesichts der Kriegsbedingungen als besonders dringlich. Ein zukunftsfähiger Ausweg liegt im Ausbau der Aus- und Weiterbildungs-Angebote. Für die Biobranche mit ihren spezifischen Know-how-Anforderungen ist dies besonders wichtig. 

30.06.2025mehr...
Stichwörter: Ausland, Ukraine, Interview, Länder

Ecovillages – Zufluchtsort und neue Heimat

bioPress-Korrespondent Peter Jossi im Gespräch über ukrainische Ökodörfer in Kriegszeiten

Ecovillages – Zufluchtsort und neue Heimat © Ivanna Bilous

Anastasiya Volkova ist Leiterin der NGO ‚Permakultur in der Ukraine’ und Mitglied des Kernteams der NGO ‚Global Ecovillage Network Ukraine’. Die ökologische Aktivistin lebt und koordiniert zusammen mit anderen ein Ökodorf rund 80 Kilometer südlich von Kyjiw. bioPress konnte sie dank Vermittlung des Projekts Deutsch- Ukrainische Kooperation Ökolandbau (COA) zur aktuellen Situation und den Zukunftsperspektiven befragen.

07.10.2024mehr...
Stichwörter: Ausland, Ukraine, Interview, Länder

Grain ohne Deal – bedrohte Erfolgsgeschichte

Es ist eine der noch immer wenig beachteten ukrainischen Erfolgsgeschichten: die Befreiung und Wiedereröffnung der Schwarzmeer-Route

Grain ohne Deal – bedrohte Erfolgsgeschichte © Anastasiia Bilych/ Arnika Organic

Vor einem Jahr scheiterte der ‚Grain Deal‘, das Abkommen, das die nicht zuletzt für die Welternährung wichtige Schwarzmeer-Route ab Odesa  und weiterer Hafenstädte absichern sollte. „Alle Schiffe, die ukrainische Häfen anlaufen, sind militärische Ziele!“, verkündete das russische Verteidigungsministerium nach der Aufkündigung des so genannten ‚Grain Deals‘ im Hochsommer 2023. Effektiv respektiert hatte die russische Armee das internationale Abkommen zum Schutz der Schwarzmeer-Route nie. Dennoch nehmen die Getreideexporte der Ukraine seit Monaten wieder zu.

08.07.2024mehr...
Stichwörter: Ausland, Ukraine, Interview, Länder



Frauen in der Ukraine verändern die Welt

Eine der markantesten Auswirkungen des Kriegs sind die stark gestiegenen Anforderungen an die Frauen, die in der ukrainischen Biobranche tätig sind

08.04.2024mehr...
Stichwörter: Ausland, Ukraine, Interview, Länder