4.000 Meter Bio

Ein Spaziergang auf einer der ältesten Magistralen Berlins


Beginn Bio-Meile mit VIV
Wenige Schritte vom "Ursprung" der Schönhauser Allee entfernt zwischen den U-Bahn-Höfen Rosa-Luxemburg-Platz und Senefelder Platz beginnt die Berliner Bio-Meile rechterhand mit dem VIV-BioFrischemarkt. Ihm angeschlossen sind die Bio-Drogerie rosavelle sowie eine Lounge mit Bio-Frühstück im täglichen Angebot. Drei weitere Bio-Supermärkte befinden sich an der Schönhauser Allee. Die konventionellen Märkte wie Extra-Markt, Rewe oder Kaisers entlang dieser Magistrale führen mittlerweile ein umfangreiches Bio-Sortiment. Innerhalb der letzten Fünf Jahre hat sich in Berlin die Zahl der Bio-Supermärkte - 34 sind es - mehr als verdoppelt. Hinzu kommen mindestens 61 kleinere Naturkostfachgeschäfte. 21 Bio-Bäckereien, 24 Reformhäuser, 14 Wochenmärkte, 11 verschiedene Lieferanten für Abokisten und zahlreiche Biohöfe mit Ab-Hof-Verkauf rund um die Hauptstadt versorgen die Berliner und ihre Gäste mit ökologisch erzeugten Lebensmitteln.

Berlin ist auch Bio-Hauptstadt Deutschlands. Besonders in dem Gebiet zwischen Prenzlauer und Schönhauser Allee sind Nachfrage und Angebot nach Bio-Nahrungsmitteln stark gewachsen. Bevor die einzelnen Bio-Supermärkte und Naturkostläden entlang der Schönhauser Allee in den Blickpunkt rücken, sei eine Rückschau auf Entstehung und soziale Struktur dieser alten Magistrale gestattet, die sich von der Mitte Berlins über den Prenzlauer Berg bis in den nördlichen Stadtbezirk Pankow erstreckt.

Als die Stadt sich Anfang des 20. Jahrhunderts weiter ausdehnte, wurden die hügeligen Felder mit unzähligen Mietskasernen für die nach Berlin strömenden Arbeitskräfte bebaut. In den 20-er Jahren des vorigen Jahrhunderts war Prenzlauer Berg mit 30.000 Einwohner pro Quadratkilometer das dichtbesiedeltste Gebiet der Erde.

Ursprünge liegen in den 70-er Jahren

Seit Mitte der 70-er Jahre, als in den Randbezirken Marzahn und Hohenschönhausen Tausende Neubauwohnungen entstanden, wurden viele der Wohnungen mit WC auf der Treppe frei. Darin siedelten sich die ersten Bio-Käufer Ostberlins an: Künstler, Intellektuelle, Alternative und sogenannte Spontis waren einerseits froh, überhaupt eine Wohnung zu bekommen, andererseits herrschte hier im Kiez eine viel flippigere Atmosphäre als im Rest der DDR.

Das Gebiet zwischen Schönhauser und Prenzlauer Allee, Tor- und Danziger Straße wird heute zu 83 Prozent von Menschen bewohnt, die erst nach 1993 hierher kamen. Das Netto-Haushaltseinkommen ist längst mit Werten des südwestlich gelegenen Stadtbezirks Steglitz-Zehlendorf vergleichbar. Die zahlreichen einkommensstarken Haushalte und junge Familien, aber auch die Müsli-Fraktion der 70-er und 80-er forcieren die Nachfrage nach Bio-Nahrungsmitteln in den Stadtteilen entlang der Schönhauser Allee.


Filialleiterin VIV-BioFrischeMarkt
"Der Markt ist ständig gewachsen", erzählt Andrea Schramm, Filialleiterin vom VIV-BioFrischeMarkt. "Als 2001 die Expansionsphase losging, wurden hier gute Leute gesucht." Die VIV-Unternehmer Stefan Buschek und Ulrich Unbekannt hatten mit dem Verkauf von regionalem Bio-Mangold und Vollkornbrot auf dem Pankower Wochenmarkt begonnen.1998 übernahmen sie den Naturkostladen "Naturkorb". Seit 2001 firmiert ihr Unternehmen als BioFrische Markt, zeitgleich mit der Eröffnung der Filiale in Berlin-Mitte.

60 Prozent Frische-Anteil

Mindestens 60 Prozent des Sortiments besteht aus Frische-Produkten wie Obst vom Gut Krauscha, Brodowiner Gemüse und Milch, Büffelmozarella und Büffelsalametti aus Jüterbog, Feta vom Milchschafhof Schafgarbe in Vetschau, frische Nudeln und Quark vom Ökohof Kuhhorst in der Nähe von Nauen sowie Märkisches Landbrot. Anfang des Jahres wurde kurzzeitig frischer Fisch angeboten. "Das lief nicht so, wie es sollte", berichtet Andrea Schramm, "deshalb haben wir uns auf Tiefkühlfisch, geräucherten Fisch und Konserven beschränkt." Sympathische Aktionen wie das Schenken einer roten, fair gehandelten Rose an alle weiblichen Kundinnen am Frauentag, lassen erkennen, dass die VIV-Inhaber aus dem Osten Deutschlands stammen. In den hellen, mit warmen Farbtönen gestalteten Räumen mit überdurchschnittlich viel Kühlfläche schnuppert man den Duft der früheren Tante Emma-Läden. Die angeschlossene Bio-Drogerie rosavelle ist ebenfalls in Besitz von Buschek und Unbekannt.


Lounge, Selle-Camara
Die benachbarte Lounge wird seit Mai 2008 an Henriette Selle-Camara untervermietet, die vor sechs Jahren von Guinea nach Deutschland kam. "Ich wohne seit vier Jahren gegenüber und habe in der Bio-Drogerie gearbeitet, manchmal im VIV-Lounge ausgeholfen. Dann war eine Weile geschlossen, und mir ging durch den Kopf, hier selbst das Lounge zu eröffnen."

Seitdem werden nicht mehr ausschließlich Bio-Speisen angeboten. Das ganztägig zu bestellende Bio-Frühstück hat die Pächterin indes beibehalten. "Beliebt ist die ,Körnerlounge', ein Vollkornmüsli mit Obst und hausgemachtem Vanillequark oder ,Loungegold' mit Serranoschinken, den wir von VIV beziehen." Die warme Küche von 11.30 bis 16.00 - besonders von den Mitarbeitern der anliegenden Büros genutzt - bietet ab und zu Bio-Hühnerbrust vom benachbarten Extra-Markt oder Bio-Eier mit Senfsoße, wobei die fertig gekochten Bio-Eier von Catering Monopol-Berlin geliefert werden. Getränke wie Kaffee, Kakao plus Terra- bzw. Sojamilch haben Bio-Qualität. Säfte von dennree, Neumarkter Lammsbräu und Bionade gehören nach wie vor zum Sortiment der Lounge, welche innen 44 Stühle plus Sofa und fünf Steh- sowie 24 Außenplätze bietet.

Bio auf zwei Etagen

An der Ecke zur Kollwitzstraße, hat ein LPG-Biomarkt seine Ladenflächen auf zwei Stockwerke verteilt. In "Europas größtem BioMarkt" - wie seit Mai 2007 an der Außenfassade zu lesen ist - werden auf 1600 Quadratmetern insgesamt 18.000 Bio-Produkte in Bioland-, Demeter- oder Gäa-Qualität verkauft. Zum Großeinkauf animieren Tiefgarage und Parkplätze vor dem Markt sowie bis zu 30 Prozent Mitglieder-Rabatt gegen eine Kaution von 51 Euro und Monatsbeiträge von 18 Euro pro erwachsene Person.

Im Erdgeschoss befinden sich Backshop, Obst- und Gemüseabteilung, Fleisch-, Wurst- und Käsetheke sowie ein Bio-Bistro mit Stehtischen. Eine Etage höher folgt eine große Auswahl an Wein, Säften, Getreide, Milchprodukten aus Brodowin, von Terra Naturkost oder von der Gläsernen Meierei in Upahl, Spielzeug, Babynahrung und Kosmetika. Ebenfalls im Obergeschoss lädt eine Sitzecke zur kostenlosen Selbstbedienung mit Kaffee oder Kakao ein. Hier kann man sich in Prospekten über die Vorteile der Mitgliedschaft informieren.

Ein paar Schritte weiter gelangt man zum Wochenmarkt am Kollwitzplatz, auf dem an jedem Donnerstag und Sonnabend ein buntes Treiben der verschiedenen Bio-Direktvermarkter zu erleben ist.

Ein Abstecher linkerhand der Schönhauser zur Schwedter Straße führt zu dem kleinen Bio-Kraft-Keller im Souterrain direkt gegenüber dem Discounter Lidl. Ein Stück weiter am Arkonaplatz, gelangt man zu dem kleinen, aber umfangreich ausgestatteten Geschäft Gaumenweide, das seit Juni 2001 besteht.

Bio rund um die Uhr

Parallel zur Schönhauser hat Fresh'N'Friends seit Mai 2007 auf der Kastanienallee die Nische des Rund um die Uhr-Verkaufs besetzt. Das eingeschränkte, im oberen Preissegment angesiedelte Angebot reicht von abendlichen Getränken, verschiedenen Fertigmüslimischungen, Obst und Gemüse bis zur hochwertigen Schokolade, die man in den sonst üblichen Spätverkaufsläden nicht findet. Dafür sind vor der großen Spiegelfront, die den Laden optisch größer machen soll, keinerlei Rohwaren wie ganze Getreidekörner für frischen Schrot im Sinne des ursprünglichen Naturkostgedankens zu sehen.


Fresh´N`Friends-Gründer Anton Kerler
Hauptaugenmerk des Gründers Anton Kerler liegt auf einem frischen, gesunden Imbiss-Angebot, zum Beispiel Tomatensuppe mit Honig und Schwarzem Pfeffer oder Gelbe Linsensuppe mit Aprikosen und Chili, beide in Bio-Qualität. "Nachtschwärmer mit Heißhunger auf etwas Gesundes werden bestens versorgt", wirbt Kerler. Für den heimischen Herd bietet er unter anderem TK-Bio-Pangasiusfilet an und kommentiert: "Wir sind das erste Geschäft in Berlin, bei dem du 24 Stunden frische Bio-Produkte kaufen kannst."

Biegt man an der nächsten Kreuzung Richtung Norden in die Oderberger Straße, lädt "Isot - Ihr Fenster zur Natur" zum Verweilen ein. In dem von einer türkisch-stämmigen Familie geführten Bio-Laden kauft man die Grundzutaten für den täglichen Bedarf, mediterrane Frischkost wie Oliven, Hommus oder Fetacreme, weiterhin Äpfel vom Apfelhof "Altes Land" in Jork sowie Möhren, Salat, Zwiebeln und Lauch vom Ökodorf  Brodowin.


Ihr Fenster zur Natur, links: Geschäftsführerin Zeycan Sürer
Geschäftsführerin Zeycan Sürer ist 1992 mit ihrer Familie aus der Osttürkei nach Brandenburg gekommen. Von ihrer Heimat gewohnt, Obst und Gemüse selbst anzubauen, legte besonders der Vater Wert auf "täglich gepressten Orangensaft von Bio-Orangen". Zeycan Sürer betont: "Wir sind sogar selbst Äpfel pflücken gegangen."

Vor der Eröffnung des Isot im Oktober 2004 hatte sie geplant, nur ein Feinkostgeschäft zu betreiben, "aber der Laden in der Oderberger war zu groß dafür, so haben wir überlegt, was wir machen können. Und da Bio auf dem Weg war, mehr zu werden, haben wir uns umgeschaut. Es gab wenige Läden mit Bio-Lebensmitteln in der Nähe. Schließlich sagte mein Vater: Wenn es Bio-Lebensmittel sind, passen sie gut zu Feinkost." Die wiederum ist hausgemacht von der Mutter. So können frische Gemüsearten, die manchmal nicht in ausreichender Menge verkauft wurden, noch rechtzeitig zu schmackhaften Salaten verarbeitet werden. "Die Oliven legen wir selbst ein. Ich will, dass die Leute Spaß am Einkaufen haben und versuche, mit der Feinkosttheke etwas Besonderes anzubieten."

Wie ernst es Zeycan Sürer mit der Auswahl ihrer Lieferanten nimmt, zeigt ihre genaue Beobachtung der Kundschaft: "Ich achte darauf, Produkte von demeter anzubieten, weil es Kunden gibt, die nur demeter-Lebensmittel kaufen. Bio ist nicht gleich Bio, aber da habe ich die Sicherheit."

Regionales Bio-Angebot


Kiepert & Kutzner, Regionale Kartoffeln von Öko Jule
Wieder auf der Schönhauser findet man den ehemaligen Bio-Supermarkt der Kette Bio-Company unter dem Namen Kiepert & Kutzner. Die Inhaber des 1999 eröffneten Bio-Supermarkts - der erste in Berlin - haben sich seit Januar diesen Jahres von der Kette gelöst.

"Wir haben unser Angebot weitestgehend beibehalten, können aber nun besonders in der Saison sehr viel Obst und Gemüse von regionalen kleineren Lieferanten anbieten", erläutert Inhaber Michael Kutzner. Dazu gehören die Kartoffel-Sorte Sieglinde von Öko Jule aus der Märkischen Schweiz in Gäa-Qualität.

Ihr von außen eher klein wirkender Bio-Supermarkt erstreckt sich nach hinten verwinkelt über eine relativ große Fläche. Vor dem Durchgang zu Tiefkühltruhe und Käsetheke ist die auf der Schönhauser Allee einzige Bedientheke für frisches Bio-Fleisch platziert. Hier hat sich ein kompetenter Fleischfachverkäufer der Biofleischerei Feindura eingemietet. "Es ist etwas anderes, ob man Käse oder Fleisch aufschneidet. Für den Verkauf frischen Fleischs ist ein Fachverkäufer notwendig, derzeitnah entscheidet, wie bestimmte Waren weiter verarbeitet und hygienische Vorschriften eingehalten werden", erläutert Kutzner.

Bio im Supermarkt

Auf der gegenüberliegenden Seite bietet der konventionelle Supermarkt Kaisers ein umfangreiches block- sowie sortimentsplatziertes Angebot von Bio-Lebensmitteln, beispielsweise Bio-Sanddorn-Muttersaft des Herstellers Werder Frucht unter der Regionalmarke Von Hier.


Marktleiter Jens Salzwedel vor der Getreideabfüllanlage bei eo,
Ein Reformhaus der Kette Vitalia ist in den Schönhauser Allee - Arkaden ansässig. Neben einer kleinen Obst- und Gemüse-Auswahl kauft man hier vor allem Nahrungsergänzungsmittel, Diätprodukte für Allergiker oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Verschiedenste Sojaerzeugnisse sind erhältlich, dazu vegetarische Aufstriche, Getreide, frische Milchprodukte (z.B. Söbbeke), Tees und Säfte sowie Brot vom BioBackhaus.

Weiter Richtung Pankow liegt der Biosupermarkt eo, (sprich eokomma, das steht für: eat organic). Die im Oktober 2003 eröffnete Filiale in der Schönhauser Allee 108 ist eine der sechs, die bisher nur in Berlin zu finden sind. "Der Renner ist unsere Selbstabfüllanlage für Getreide: von Roggen, Haferkorn über Müsli bis zur Nuss-Rosinen-Mischung, welche bei eo, Professorenfutter heißt", erzählt Marktleiter Jens Salzwedel.

Die Konkurrenz auf der Berliner Bio-Meile ist zu spüren. Sie spornt zu Höchstleistungen an und belebt das Geschäft.  

Anke Noll

Fotos: Anke Noll

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