Keine Angst vor Bio-Importen
Hohe Nachfrage bedingt hohe Preise für Lebensmittel-Rohware
Bio-Rohstoffe sind knapp, wenig verwunderlich auf einem dynamisch wachsenden Markt mit zweistelligen Steigerungsraten in jedem der vergangenen vier Jahren. Aktuell schlägt sich das zur Freude der Erzeuger in höheren Preisen nieder. Einen Bio-Fleischberg, der abgetragen werden könnte, einen Bio-Milchsee, aus dem zu schöpfen wäre, gibt es aktuell nicht. Die Verbandsfunktionäre beklagen zudem, dass die deutsche Agrarwirtschaft zu wenig profitiert und fordern mehr Förderung. Allerdings kann nur ein Teil der benötigten Rohstoffe in Deutschland erzeugt werden. Viele Bio-Volumenprodukte wie Kaffee, Kakao, Tee, Bananen, Zitrusfrüchte, Reis, Mais, Hartweizengrieß und Zuckerrohr sind Import-Artikel. Der Beschaffungsmarkt ist global.
Bio-Rohstoff-Händler importieren Ware aus der ganzen Welt. Lebensmittelhandwerk und Industrie verarbeiten die Rohstoffe zu Produkten für den Handel. Die Haupt-Absatzmärkte liegen in Europa und den Vereinigten Staaten. Marktführer Tradin aus den Niederlanden kauft auf allen Kontinenten in 36 Ländern außerhalb der EU 200 Rohstoffe! "Unsere Hauptaufgabe ist es, Produkte zu beschaffen, die in unseren Breiten nicht wachsen", erklärt Heiko Grobecker von Tradin Deutschland.
Care aus Sittensen bezieht seine Rohstoffe aus Südamerika und Südost-Asien. Hauptprodukte sind Fette, Öle, Rohrzucker und Kakao. Die Agentur Edwin Lorenz aus Norderstedt bei Hamburg vermittelt im Bio-Bereich hauptsächlich Nüsse, Trockenfrüchte und Säfte. Naturkost Übelhör aus Leutkirch in Baden-Württemberg führt Getreide, Saaten, Kerne, Hülsenfrüchte, Süßmittel Kräuter und Gewürze ein. Agasaat hat sich auf Saaten und Kerne spezialisiert.
Bio-Lebensmittelmarkt von Einfuhren abhängig
Die deutsche Bio-Lebensmittelherstellung ist seit Jahren stark von Einfuhren geprägt, ohne dass dies im großen Stil diskutiert wurde und exakte Zahlen vorlägen. Schon immer wird tropischer Rohrzucker statt heimischer Rübenzucker verarbeitet. Der Grundsatz regional vor international gilt hier nicht. Bei alternativen Süßmitteln aus Übersee wie Agavendicksaft und Ahorn-Sirup aus Amerika ist die Bio-Branche Vorreiter im Lebensmittelimport. Fremde Getreide wie Hirse und die Pseudo-Getreide Amaranth, Quinoa spielen in der Bio-Branche eine bedeutendere Rolle als im herkömmlichen Sektor. Der Bio-Honig-Hunger kann von deutschen Bienen ebenfalls nicht gestillt werden. Ohne Importe wäre der Bio-Lebensmittelmarkt arm. Deutscher Dinkel, Quinoa aus Bolivien und Kaffee aus Kolumbien vereinigen sich bei Sommer & Co zu einem Fairtrade-Keks gebacken im Taunus.
Knappheit von Nahrung ist geschichtlich und weltweit betrachtet die Normalität. Der europäische Agrarmarkt war in den vergangenen Jahren allerdings durch Überschuss-Produktion gekennzeichnet. Dies gilt jedoch nicht für Bio-Lebensmittel. Bio-Salat wurde nie untergepflügt, und Weintrauben aus Öko-Anbau nie zu Industrie-Alkohol destilliert. Der Bio-Bauer, der Salat anpflanzte, hatte einen Abnehmer, ebenso wie der Öko-Winzer für seinen Wein. Höherer Bio-Konsum kann nicht aus der Überproduktion gespeist werden, wie das im konventionellen Bereich einige Jahrzehnte der Fall war. "Der Handel wird lernen müssen, dass die Zeiten des Überflusses vorbei sind", hat Einkaufs- und Vertriebsleiter Christian Übelhör erkannt.
Die Importeure haben mehr und mehr die Aufgabe, Ware abzusichern. Frühzeitige Planung der Mengen sind eine Voraussetzung, um die Probleme zu verringern. Aber auch Lieferverträge, die rechtzeitig zu günstigen Konditionen geschlossen wurden, werden nicht immer eingehalten. "Einzelne Anbieter fühlen sich bei den aktuellen Preisexplosion nicht an bestehende Kontrakte gebunden", berichtet Übelhör. Der Bio-Importeur sieht daher den Ausbau eigener Projekte als wesentlichen Bestandteil der langfristigen Strategie.
Mehr Bio braucht das Land
Die Erzeugung muss stärker ausgeweitet werden, als dies aktuell geschieht. Das Land braucht mehr Bio. Gleichzeitig hat die deutsche Politik die Fördermittel für die Umstellung auf Bio-Landwirtschaft gekürzt. Die Umstellungsbereitschaft hierzulande ist gering, während zum Beispiel Italien fleißig die Bio-Flächen ausdehnt. Was hier versäumt wird, besorgen die Nachbarn. Der Kunde bekommt am Ende, was er will. Zudem bedingt die Umstellungszeit von drei Jahren, dass das Angebot an ökologischer Rohware erst mit einer Verzögerung verfügbar wird, wie Christian Übelhör anmerkt. Der Mangel von heute kann also erst drei Ernten später behoben werden.
Die weltweit wachsende Nachfrage sorgt für steigende Preise zur Freude der Bio-Erzeuger, die sich in der Vergangenheit über schlechte Preise beklagt hatten. Bei Tradin sind TK-Früchte, brasilianischer Orangensaft und Hirse aus Nordamerika knapp. Für die Hersteller wirkt sich das vornehmlich in höheren Preisen aus. Rohstoffe bekommen sie meist noch. Denn gesunde Preise ziehen Ware nach sich. Durch die Internationalisierung können Engpässe teilweise kompensiert waren.
Tradin kann Bio-Sesam aus Asien, Afrika und Südamerika beschaffen. Ausfälle in Indien können unter Umständen durch eine Rekordernte in Peru ausgeglichen werden. Allerdings sind die gewünschte Qualitäten in Optik, Größe usw. aktuell nicht immer verfügbar.
Großhändler Übelhör konnte aufgrund der überproportionalen Nachfragesteigerung in Deutschland im Jahr 2007 rund 20 Prozent der Mengen nicht beschaffen. "Dinkel, Hafer, Trockenfrüchte und einige Saaten werden nicht bis zum Anschluss an die neue Ernte zur Verfügung stehen", stellt Christian Übelhör fest.
Bei Edwin Lorenz in Norderstedt bei Hamburg beklagt, dass Missernten zu einer Knappheit bei Walnusskernen geführt haben. Die Preise sind bisher um 40 Prozent gestiegen sind. Das gleiche gilt für Korinthen und Feigen. Carsten Reich von Care berichtet von Preissteigerungen bis zu 300 Prozent bei einzelnen Produkten. Europa konkurriert hier mit dem Markt in den USA. Auch dort ist der Konsum höher als die Produktion.
Kontrolle heißt das Gebot der Stunde
Die verführerisch hohen Preise locken schwarze Schafe an, die am Bio-Boom teilhaben wollen. "Leider kommt es aktuell immer häufiger vor, dass belastete Rohware angeboten wird", musste Übelhör feststellen. Er widerspricht der herrschenden Meinung, Bio aus China sei nicht vertrauenswürdig: "Die Produkte enthalten gegenüber anderen Ursprüngen niedrigere Pestizidbelastungen bzw. weniger Altlasten, wie die Analytik ergibt. Diese Informationen sind beim Endverbraucher bis heute nicht angekommen". Im übrigen plädiert der Importeur für die Beibehaltung der Einfuhr-Ermächtigung durch die BLE (Bundesanstalt für Lebensmittel und Ernährung), um Bio-Betrug zu verhindern. Oliver Knospe von Edwin Lorenz hat sich beim TÜV Nord zum Qualitätsbeauftragten fortbilden lassen, um seinen Vertragspartnern als kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Qualitätssicherung heißt das Gebot der Stunde.
Die Ökologie ist der Ursprung der Bio-Bewegung. Regionalität mit kurzen Wegen gilt hier als das Ideal. Übersee-Ware scheint diesem Grundsatz zu widersprechen. Oliver Knospe, Geschäftsführer bei Edwin Lorenz sieht das anders: "Der Weg, den die Ware zurück legt, ist nicht so entscheidend. Wir haben uns eine Expertise erstellen lassen, die aussagt, dass Walnusskerne aus Indien pro Kilo Ware deutlich weniger Kohlendioxyd Ausstoß verursachen, als Ware aus Europa, die per LKW transportiert wird". Carsten Reich vom Importeur Care verweist darauf, dass ein Container aus Südamerika eine bessere Energie-Bilanz als zum Beispiel ein Kühltransport aus Spanien habe.
Die Aussichten für 2008 beurteilen die Bio-Rohstoffhändler gleich: Wachstum zweistellig, Preise weiter steigend. Die Ware bleibt knapp.
Anton Großkinsky