Start / Ausgaben / BioPress 45 - November 2005 / Ein weites Bio-Land

Ein weites Bio-Land

Weidehof betreibt im Stil einer amerikanischen Ranch Rinderhaltung

Bio-Rindfleisch hat sich seit der BSE-Krise im Jahr 2000 etabliert. Der Skandal war für viele Händler der Anlass, bei Bio-Rindfleisch einzusteigen. Die Erzeugergemeinschaft Weidehof in Mecklenburg-Vorpommern hat von diesem Schub erheblich profitiert. Die Zahl der liefernden Betriebe stieg inzwischen auf mehr als 100 Landwirte, die rund 25.000 Rinder halten. Das bringt den Ostdeutschen den Vorteil, Großkunden beliefern zu können. Die kleinbäuerliche Bio-Landwirtschaft in Süddeutschland ist stärker Partner des Metzger-Handwerks denn nationaler Caterer, Verarbeiter und Lebensmittelketten. Der Trend zu Bio-Fleisch hält an.


Gut Borken an der polnischen Grenze nahe Stettin ist eines der größten Mitglieder der Fleisch-Erzeugergemeinschaft Weidehof. 5.200 Hektar umspannt das weite Land. 3.600 Hektar davon sind Weide. Auf 800 Hektar gedeiht Roggen als Kraftfutter für das Großvieh. 800 Hektar sind Wald und Wege.

Sechs, sieben süddeutsche Bauerndörfer muss man zusammen nehmen, um eine solche Gemarkungsgröße zu erreichen. Vom Städtchen Pasewalk führen immer enger werdende Wege zu dem Weideland. Grüne Wiesen so weit das Auge blicken kann. Das ist die deutsche Shiloh-Ranch. 5.000 Rinder grasen hier. Rund ein Hektar Grünland hat ein ausgewachsenes Rind zur Verfügung.

Robuste Herden

Auf dem Gelände einer ehemaligen LPG der DDR wird ganzjährige Weidehaltung praktiziert. Das war ein Novum, auch in diesem Landstrich. Der Tierarzt und Rinderzüchter Dr. Christof Kühnlein wusste, dass es funktioniert. Rinder haben ein Temperaturfenster von 0 bis Plus zehn Grad. „Wenn wir Menschen schon frieren, fühlen sich die Tiere erst wohl", klärt der Veterinär auf. Zudem legen sich die Rinder im Winter ein dickeres Fell zu. Da bei Frost auch in Mecklenburg-Vorpommern kein Gras mehr wächst, werden die Herden auf der Winterweide zusammen getrieben und mit Heu gefüttert.


Der Vorteil dieser Haltungsform: es entstehen robuste Herden. „Drei vier Generationen hat es gedauert, bis wir gesunde widerstandsfähige Tiere hatten", blickt Kühnlein zurück. Gerade bei Bio ein Vorteil, wo keine vorbeugende Medikamentation erlaubt ist. Im Aufbau musste Kühnlein viele Fleischrinder erwerben und hatte mit eingeschleppten Krankheiten zu kämpfen. Da war der Tierarzt gefragt. Heute werden nur noch Zuchtbullen dazugekauft, um frisches Blut in die Herden zu bringen. Sie müssen erst in den Stall in Quarantäne, bevor sie integriert werden.

Die Tiere weiden im natürlichen Herdenverband. Es gibt keine künstliche Besamung, die Kälber wachsen in Mutterkuhhaltung auf und fressen schon bald Gras. Das Fleisch dieser Graskälber ist dunkler als das der Milchkälber aus dem Stall, und das Produkt im Verkauf dann erklärungsbedürftig, da die Optik vom gewohnten weißen Fleisch abweicht. Weiderinder haben viel Bewegung, fressen früher Rauhfutter und haben eine intensivere Stoffwechselaktivität als Stallkälber und dadurch strukturierteres Fleisch mit einem höheren Anteil an Omega-3-Fettsäuren. Da wächst Klasse statt Masse heran. Neben Eiweiß sind Vitamin B1 und B2, Folsäure. Phosphor, Eisen und Zink enthalten.


Als die BSE-Krise die Verbraucher verunsicherte, haben die Wasgau-Metzger, die 100 Supermärkte in der Pfalz versorgen, konsequent gehandelt und die Weichen in Richtung Bio-Rindfleisch gestellt.

Ein Lieferant, der nicht nur den momentanen Bedarf, sondern auch eine steigende Nachfrage befriedigen kann, musste gefunden werden. Die ganzjährige Lieferfähigkeit von großen Fleischpartien in hervorragender Metzgerqualität war Voraussetzung. In heimischen Gefilden war es nicht verfügbar; erst im wilden Osten wurde Wasgau fündig. Das Wasgau-Qualitätsmanagement hat sich auf den Gütern der Erzeugergemeinschaft Weidehof und im Schlachthof von den Bedingungen überzeugt, ehe die erste Lieferung erfolgte.

Für Wasgau zählt die Metzgerqualität

Für einen Lebensmittelfilialisten wie Wasgau zählt in erster Linie die Fleischqualität. Hier bekommt er die gewünschten Rassen im gewünschten Gewicht schonend transportiert und geschlachtet, so dass der Glykogen-Gehalt für die Fleischreife stimmt. Die hauseigene Qualitätssicherung kann mit geringerem Aufwand kontrollieren als dies bei einer Vielzahl von Erzeugern mit unterschiedlichen Rassen, Haltungsbedingungen und verschiedenen Schlachthöfen der Fall wäre.

Auch der Catering-Riese Aramark wechselte nach der BSE-Krise zu Bio-Rindfleisch. Acht Monate mussten die Gäste des multinationalen Unternehmens auf Rind verzichten. Unter dem Motto „Hier ‘steakt’ Bio drin! - Grünes Licht für Rindfleisch bei Aramark" kehrte der Caterer im Juli 2001 zu Steaks zurück. Aramark bewirtet täglich in 500 Betriebsrestaurants und rund 50 Einrichtungen der Sozialgastronomie rund 200.000 Gäste. In den Kantinen wird das Biofleisch unter der Aramark-Marke „Bio-Line" angeboten. Nach Angaben des Catering-Unternehmens ist Weidehof „ein idealer Partner", weil die Bio-Landwirte von Weidehof über die entsprechenden Kapazitäten verfügen. Zerlegung und Logistik übernimmt ebenfalls die Ludwigsluster Fleisch- und Wurstspezialitäten GmbH, Markt- und Qualitätsführer in Mecklenburg Vorpommern.

Mit Qualitätsmanagement Standard sichern

Deutsches Fleckvieh, Angus und Limousin werden für eine qualitätsorientierte Mast eingesetzt. 1.000 Gramm beträgt die tägliche Zunahme, während in der herkömmlichen Mast 1.200 Gramm erzielt werden. Die Endmast erfolgt im Stall. Etwa eineinhalb Jahre dauert das Leben eines Mastbullen. Dann hat er rund 540 bis 600 Kilo Körpermasse erreicht und bringt 280 bis 340 Kilo hochwertiges Fleisch. „Das Fleisch ist feinfasriger mit mehr intramuskulärem Fett als im herkömmlichen", erläutert Weidehof-Geschäftsführer Dr. Rainer Mitschka die besondere Qualität. Ein Prozent des Umsatzes fließt in das Qualitätsmanagement, um den Standard zu halten. Kontrolle muss sein, meint der Geschäftsführer, sonst wird man schlechter. Ein Nachlassen im harten Wettbewerb auf dem Fleischmarkt wäre nachlässig.

„Wir haben ein strenges Kostenmanagement", berichtet Dr. Mitschka. Geheimnis des Erfolges ist die vollständige Vermarktung der Tiere in Bio: „Wenn sie einen Teil konventionell verkaufen müssen, ist der Gewinn weg." Die Ostdeutschen haben sechs große Kunden aus dem qualitätsorientierten Lebensmittelhandel, Systemgastronomie und Babynahrungshersteller. Der LEH nimmt die Edelteile ab, die Hersteller das Verarbeitungsfleisch und die Schnell-Gastronomie („Wir lieben es") die Kühe. Ein funktionierendes System.


Einen kleinen Metzger kann Weidehof nicht direkt beliefern. Die Belieferung der kleineren Kunden wie Bio-Lüske erfolgt über den Zerlegebetrieb Ludwigsluster Fleisch- und Wurstspezialitäten. Die Abnehmer müssen schon eine zweistellige Zahl kaufen, damit sie ins Konzept passen. Die großen Kunden wie Hipp oder der Mittelständische Lebensmittelfilialist Wasgau aus Pirmasens mit seinen 100 Märkten brauchen eine dreistellige Zahl von Tieren pro Woche. Wenige große Kunden vereinfachen den Betrieb.

Geschäftsführer Dr. Mitschka bekommt beim Schlachthof in Anklam die gleichen Konditionen wie gleich große herkömmliche Kunden. Beim Transport leg man Wert auf Auslastung, so dass die Logistikkosten im Rahmen bleiben. Teurer sind bei Weidehof die Tierhaltung. Bio-Futter kostet mehr, und die Tiere wachsen langsamer, da Leistungsförderer bei der Mast nicht erlaubt sind. Damit kommt ein moderater Preisabstand heraus, der Bio bei mehr Geschmack zur Alternative macht.

Beschränkung auf die Landwirtschaft

Weidehof kann sich leicht und schnell auf die spezifische Anforderungen seiner Kunden einstellen. Hipp, der sein Fleisch von der EZG bezieht, legt unter anderem größten Wert auf Rückstandsfreiheit und Rückverfolgbarkeit. Bei solchen großen zusammenhängenden Bio-Anbauflächen in einem industriefreien Gebiet ist das leichter möglich als nahe den Ballungszentren.

Die Erzeugergemeinschaft beschränkt sich auf die Landwirtschaft und die Vermarktung. Sie besitzt keinen eigenen Schlachthof, Zerlegebetrieb und keine Spedition. Diese Leistungen werden eingekauft. Ein schlankes Modell das der Geschäftsführer, der schon zu DDR Zeiten im Ministerium über die Fleischforschung wachte, umsetzt.

Vom Kunden ausgehend wird bedarfsgerecht produziert und nicht das, was erzeugt wurde, mit teurem Marketingaufwand abgesetzt. Kosten werden in der Erfassung, Schlachtung, Verarbeitung und Logistik gesenkt und nicht beim Produkt. Die Ostdeutschen haben damit den Hebel genau am richtigen Punkt angesetzt. Die Kosten für die Bio-Produktion sind höher als im herkömmlichen Bereich. Der erhöhte Logistik-Aufwand verteuert biologische Lebensmittel zusätzlich und sorgt für Wettbewerbsnachteile. Das muss nicht sein, wie das Modell Weidehof zeigt.

Anton Großkinsky

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