Start / News / Bio-Markt / Transparenz macht Mühe

Transparenz macht Mühe

Möglichkeiten und Grenzen eines Marktinformationssystems für Öko-Produkte

Wer in einem Markt planvoll agieren will, braucht verlässliche Daten. Dies gilt selbstverständlich auch für den Öko-Lebensmittelmarkt. Dennoch wurde der Aufbau entsprechender Strukturen lange Zeit versäumt. Kein Zufall: Vorhandene Daten nutzen ist hilfreich, aber Daten sammeln zunächst vor allem mühsam. Ohne Zeit- und Geld-Einsatz geht gar nichts – auch das ist eines der Ergebnisse eines entsprechenden Projekts des Bundesprogramms Ökologischer Landbau.

„Zweistellige Zuwachsraten im Öko-Markt!“ „Schon elf Prozent Eier aus Freilandhaltung.“ „Mehr als 26 Millionen Hektar Öko-Fläche weltweit!“ – wo eine Zahl steht, kann man sich oft viele Worte sparen. Dem Charme numerisch erfasster Fakten erliegt man leicht: Klar und deutlich steht die Aussage auf dem Papier, lässt keinen Interpretationsspielraum offen und keine Diskussion zu. Wie verlässlich diese scheinbar so eindeutigen Aussagen tatsächlich sind, wird allerdings selten ernsthaft hinterfragt. Zwar ist der Spruch vom Vertrauen ausschließlich in „selbstgefälschte Statistiken“ längst zum Bonmot geworden – doch spätestens, wenn die angegebene Zahl in die eigene Argumentationslinie passt, verfliegt das Misstrauen meist schnell und es wird auch mit Daten operiert, deren Herkunft im Dunkeln liegt. Wenn beim „Produzent“ der Zahl vielleicht noch vorsichtig von einem „Schätzwert“ geredet wird, kann es sein, dass dieser Zusatz schon bei der ersten Weitergabe der Information in Vergessenheit gerät, aber sicherlich spätestens dann wegfällt, wenn der Fakt zur Schlagzeile verkürzt wird. 
Auch die Zahlenangaben zum Öko-Landbau stehen mitunter auf eher schwachen Füßen. Ulrich Hamm schreibt in der Zusammenfassung seines Buches „Analysis of the European Market for Organic Food“, das 2003 erschienen ist: „Obwohl sich die Öko-Produktionsfläche in der EU von 1993 bis 2000 mehr als verfünffacht hat und der Öko-Landbau in den meisten europäischen Ländern finanziell unterstützt wird, ist es immer noch fast unmöglich, glaubwürdige statistische Daten über den Öko-Markt zu bekommen.“ Eine Aussage, die auch von einem Projekt bestätigt wird, das im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau vom Institut für Marktanalyse und Agrarhandelspolitik der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) in Zusammenarbeit mit der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle (ZMP) sowie zwei Consultants durchgeführt wurde. Im Abschlussbericht heißt es: „Belastbare Daten zum Markt für Öko-Produkte fehlten in weiten Teilen“.  Als ein Grund dafür wird angegeben, dass die Informationsgewinnung oft an spezifischen Bedürfnissen orientiert ist und die erhobenen Daten somit „selten hinsichtlich Breite und Tiefe vergleichbar sind“. Daraus folgt: „Entsprechende Vorsicht ist daher bei der Interpretation der Ergebnisse hinsichtlich ihrer Allgemeingültigkeit und Belastbarkeit gegeben.“ Das Ziel des Projekts, das in der bioPress-Ausgabe 34/3 vorgestellt wurde, war es darum, „ein Marktinformationssystem zu entwickeln, welches kontinuierlich aktuelle Zahlen über den Öko-Markt liefert“. Eine ausgesprochen schwierige Aufgabe, wie sich herausstellte ...  

Kontrollstellen überfordert

Nachdem im Rahmen von zwei Workshops ermittelt worden war, welche Daten eigentlich erforderlich sind und dass ein grundsätzliches Interesse der verschiedenen Marktteilnehmer daran vorhanden ist, starteten die Projektbearbeiter damit, vorhandene Datenquellen auf die Möglichkeiten ihrer Einbeziehung in das geplante Marktinformationssystem hin abzuklopfen. Die ursprünglich angedachte Totalerfassung aller interessanten Zahlen über die Öko-Kontrollstellen erwies sich sehr schnell als nicht umsetzbar. Nicht nur, dass derzeit noch der Datenschutz solchen Überlegungen einen Riegel vorschiebt, es werden auch viele Daten nur stichprobenartig erfasst. Zudem stellten die Autoren fest, dass z.T. schon innerhalb einer Kontrollstelle die Daten verschiedener Betriebe für Marktzwecke nur mittels zeitaufwendiger Recherchen vergleichbar zu machen sind. Hier, so meinen die Projektbearbeiter, könnte nur eine stärkere Verpflichtung der Stellen zur Datenerfassung greifen. Doch würde dies eine starke Ausweitung der Tätigkeit bedeuten, die selbstverständlich zuerst finanziert werden müsste. Die Bewertung von verschiedenen zuständigen Behörden, InVekoS (Integriertes Verwaltungs- und Kontrollsystem), Marktordnungsmeldeverordnung, Agrarstrukturerhebung, Statistik des Produzierenden Gewerbes, Außenhandelsstatistik und den aktuell bestehenden Rückverfolgbarkeitsaktivitäten fiel ähnlich negativ aus.
Interessanter für den Aufbau eines Marktinformationssystems erschienen den Wissenschaftlern dagegen zunächst die Erzeugergemeinschaften (EZG), die allein schon durch ihre Position als Bindeglieder zwischen Landwirtschaft und Verarbeitung Schlüssel zu zwei wesentlichen Türen in Händen halten. Definiert wurden Erzeugergemeinschaften dabei in der Studie als „eine Organisationsform, die nach dem Marktstrukturgesetz anerkannt und gefördert wird.“ Zu dieser Gruppe wurden die Erzeugerzusammenschlüsse, die nach den „Grundsätzen der Förderung der Verarbeitung und Vermarktung ökologisch erzeugter landwirtschaftlicher Produkte“ gefördert wurden, hinzugenommen. Es konnten insgesamt 71 Öko-Erzeugergemeinschaften in Deutschland ausgemacht werden, von denen fast alle (69) an der Befragung durch die Projektbearbeiter teilnahmen. Mehr als 70 Prozent der EZG konzentrieren sich in ihren Handelsaktivitäten auf nur eine Produktgruppe. Nur zehn EZG handeln mit mindestens vier Produktgruppen, darunter vor allem große Gemeinschaften mit einem Jahrsumsatz von 2,5 Millionen Euro und mehr. Im Schnitt haben die EZG 58 Mitglieder, die Spanne reicht von vier bis 860 Mitgliedern. Sie sind inzwischen in ganz Deutschland, mit einem Schwerpunkt in Baden-Württemberg, vertreten. Ihre gute Verbreitung ist ein weiterer Pluspunkt für die Wertigkeit der Erzeugergemeinschaften als Partner zur Datenermittlung. Tatsächlich gelang es den Projektbearbeitern - allerdings „mit hohem Zeitaufwand, viel Durchhaltevermögen und einer gewissen Unnachgiebigkeit“ - Angaben über die von den EZG erfassten und vermarkteten Öko-Produkten zu bekommen. Dabei wurden die ermittelten produktspezifischen Erfassungsmengen als weitgehend verlässlich eingestuft. Doch die Angaben zu den Absatzwegen und überhaupt zum Absatz erschienen den Wissenschaftlern dagegen „weit weniger verlässlich“. Oft konnten hier nur ungefähre Angaben über den Gesamtabsatz ohne Differenzierung nach Produktgruppen ermittelt werden.   

Ernüchterndes Fazit

So fiel das Fazit der Projektbearbeiter über alle Informationsquellen hinweg ernüchternd aus: „Sowohl im Rahmen vorhandener Erhebungen als auch über Kontrollstellen sind die erwünschten Informationen, wenn überhaupt, nur partiell und unter größten Schwierigkeiten zu bekommen.“ Allerdings bestünden noch deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Bereichen der Lebensmittelkette. Als vergleichsweise gut wird von den Experten die Datenlage auf der Produktionsstufe beurteilt. „Die landwirtschaftliche Öko-Erzeugung wird durch die Berechnungen der ZMP aufgrund der Meldungen von den Kontrollstellen, deren Arbeitsaufwand von der ZMP honoriert wird, relativ zuverlässig erfasst“, so die Bilanz, auch wenn eine kleinere Kontrollstelle sich bislang noch weigere die Daten selbst gegen Bezahlung zu melden. Besonders groß seien aber die Defizite im Verarbeitungs- und Vermarktungsbereich. Quasi keine Datengrundlage gibt es insbesondere für den Bereich des Außenhandels.
Um den Vermarktungsbereich vielleicht doch noch datentechnisch in den Griff zu bekommen, griffen die Projektbearbeiter eine Vermarktungsgruppe beispielhaft heraus und versuchten dort, direkt weitere Daten zu eruieren. Zum Praxistest wählten sie die Mühlen. Unter der Stichprobe von sechs Mühlen waren auch die bedeutendsten der Branche vertreten. Ein Fragebogen wurde erarbeitet, der auf die üblichen Erhebungsraster, etwa der Marktordnungswaren-Meldeverordnung sowie der vierteljährlichen Produktionserhebungen im Rahmen der Produktionsstatistik des Statistischen Bundesamtes aufbaute. Nach telefonischer Ankündigung wurden die Bögen verschickt. Doch trotz mehrfacher telefonischer Rückfrage kam, laut Auskunft der Projektbearbeiter, nur ein Erhebungsbogen zurück „und dieser enthielt einige Grunddaten zu den hergestellten Endproduktmengen, aber nicht die erhofften detaillierten Daten.“ Ein enttäuschendes Ergebnis, räumen die Wissenschaftler ein, zeigen dafür aber Verständnis: Es deute darauf hin, dass selbst ein vertretbar erscheinender Bereitstellungsaufwand der Daten von den Unternehmen nur schwer zu leisten sei, selbst wenn – wie vorher abgefragt – der hinter der Erhebung stehende Grundgedanke Zustimmung finde. In den meisten Fällen sei ja im Vorfeld durchaus Bereitschaft zur Mitwirkung signalisiert worden, doch scheinbar sei die konkrete Umsetzung und Auseinandersetzung mit dem Anliegen im Rahmen des Tagesgeschäftes nicht möglich. Trotz intensiven Bemühens blieb den Experten von FAL und ZMP also nur festzustellen, dass es „sehr schwierig ist, dauerhaft verlässliche, umfassende Marktinformationen für den Öko-Markt bereit zu stellen.“

Spatz in der Hand

Die realen Zustände bestätigen das Manko an Marktdaten. Wie Hamm in seinem Buch schreibt, sind auf dem Öko-Markt verglichen mit konventionellen Märkten große Preisunterschiede festzustellen, selbst zwischen Nachbarländern. Das zeige, dass die Markttransparenz sehr gering sei. Da es diese geringe Transparenz den Marktteilnehmern besonders schwer macht, auf eine sich verändernde Nachfrage entsprechend zu reagieren, haben sich die Projektbearbeiter trotz aller Widerstände daran gemacht, wenigstens Grundstrukturen für eine Verbesserung der Situation zu schaffen.
Da die gewünschte umfassende Datenerhebung vermutlich am ehesten noch durch eine Meldepflicht zu erreichen wäre, wie die Wissenschaftler vermuteten, dies aber angesichts bereits bestehender hoher bürokratischer Anforderungen schwer umsetzbar erschien, wurde versucht, wenigstens die vorhandenen Daten zu systematisieren und nutzbar zu machen. Das heißt, alle vorhandenen und von den Experten Ulrich Hamm und Toralf Richter als verlässlich eingestuften Quellen wurden in einer gemeinsamen Datenbank zusammengeführt. Darunter ist das Emnid Ökobarometer zu Verbrauchereinstellungen ebenso vertreten wie die Strukturdaten verschiedener europäischer Länder, Nielsen-Daten zu Umsatz und Absatz bestimmter Öko-Produkte oder Konsumdaten aus dem GfK Öko-Sonderpanel. Auf dieser Basis sollen in der Datenbank in Zukunft Preisentwicklungen, Betriebszahlen, Flächenbilanzen und vieles mehr abgerufen werden können. Die Quellen für die Grafiken und Tabellen werden jeweils genannt. Aktuell kann auf die in Entwicklung befindliche Datenbank von außen noch nicht zugegriffen werden, dies ist Ziel und Aufgabe eines Folgeprojektes, dass in diesen Tagen gestartet wurde.
Außer der Datenbank bemühten sich die Bearbeiter des Projekts, aus den gewonnenen Daten, ergänzt durch Expertenbefragungen, ein Schema der Strukturen des Öko-Marktes in Deutschland allgemein und darüber hinaus für die wichtigsten Teilmärkte, wie Milch, Gemüse, Obst, Rind, Kalb oder Schwein, abzuleiten (die Struktur-Schemata der Teilmärkte werden in den folgenden Ausgaben von bioPress im Einzelnen vorgestellt). Dabei stand Transparenz im Vordergrund, das heißt, schon optisch wird zwischen Angaben, die als „relativ abgesichert“ gelten können (schwarz) und solchen, die eher „Schätzcharakter“ (rot) haben unterschieden.
Es gehört für Wissenschaftler eine Menge Mut dazu, trotz unsicherer Datenlage konstruktiv weiter zu denken und zu arbeiten und, wie hier geschehen, erste Pflöcke in das noch fast unbestellte Feld der Marktinformationen im Öko-Bereich zu schlagen. Und doch hat die Erfahrung gezeigt, dass solche ersten Pflöcke ganz wesentlich dazu beitragen können, Schwach- und Fehlstellen auch von weitem sichtbar werden zu lassen und damit zu Impulsen werden, Probleme anzugehen. Einen Überblick über den komplexen, extrem dezentral strukturierten und überaus bunten Öko-Markt zu schaffen, ist eine Herausforderung, die nicht durch ein Projekt und durch eine Institution bewältigt werden kann. Hierzu müssen alle am Markt Beteiligten beitragen, ohne die Mitarbeit von Produzenten, Vermarktern und Verarbeitern werden „grobe Schätzwerte“ noch lange nicht durch zuverlässiges Datenmaterial ersetzt werden. Vielleicht eine Situation, die einzelnen Marktteilnehmern durchaus dienlich sein kann - aber sicher nicht dem Öko-Markt als Ganzem.

Iris Lehmann

[ Artikel drucken ]