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Bio hautnah: vom Hersteller zum Kunden

In der Experten-Lounge des Meetingpoints BIOimSEH geht’s ans Eingemachte

Bio hautnah: vom Hersteller zum Kunden

Brot, Käse, Wurst, Obst und Gemüse: Grundnahrungsmittel in Bio-Qualität und ihr Weg in den selbstständigen Lebensmitteleinzelhandel standen im Fokus der Experten-Lounge des Meetingpoints BIOimSEH, der 2024 zum zweiten Mal auf der Biofach stattfand. Mit kleinen Gruppen von Interessierten sprachen die Referenten über Bio-Sortimente, Chancen und Schwierigkeiten in der Vermarktung, Fachkräftemangel, Kundenkommunikation und über neue Ansätze für eine zukunfts-
fähige Tierhaltung.

Das übergreifende Thema – strukturelle Probleme und Verbesserungsmöglichkeiten bei der Bio-Vermarktung im SEH – wurde von bioPress-Herausgeber Erich Margrander selbst behandelt. Die Veranstaltung ‚Wege in den Bio-Mainstream‘ war auch in den Biofach-Kongress eingebunden und zog rund 30 Zuhörer und Mitdiskutanten an.

„Wenn der LEH Bio-Marken neben seiner Eigenmarke zuließe, hätten wir auf einen Schlag viel mehr Nachhaltigkeit – schneller als durch die Außer-Haus-Verpflegung“, betonte Margrander. Der Einzelhändler tegut habe es mit seinem Bio-Angebot geschafft, ein Fachhandelsimage zu etablieren. Um Bio wirklich in die Fläche zu bringen, müssten aber auch die Kaufleute von Rewe und Edeka mit ins Boot.

Der momentan durchschnittliche Bio-Umsatz von rund elf Prozent im SEH reiche nicht aus für das 30-Prozent-Ziel. Das Trockensortiment entwickle sich gut und auch die weiße Linie der Mopro-Abteilungen könne sich in puncto Bio sehen lassen – „hier funktioniert die Logistik offenbar“, so der Experte. In der übrigen Frische gebe es aber nach wie vor (zu) viele Lücken.

Öffnung zahlt sich aus

Hier fehle eine Strategie. Zehn Bio-Herstellermarken, die ein konventioneller Markt in der Realität im Sortiment hat, stünden hunderte gegenüber, die es eigentlich für ein Bio-Vollsortiment brauche. „Sie reinzulassen scheint schwierig“, beobachtet Margrander. Der Handel müsse sich entscheiden, ob die reine (kurzfristige) Gewinnoptimierung oder die Versorgung der Bevölkerung mit gesunden Lebensmitteln im Vordergrund steht. Dabei gehe es Marken wie Followfood, die es einmal hineingeschafft haben, blendend. Und auch für den Handel brächten Bio-Marken viele Vorteile: Image, Kundenbindung – die Öffnung zahle sich aus.

„Die Zentralen müssen viel aus der Hand geben, damit es vorangeht“, so die Einschätzung Margranders. „Aber wer unterstützt die Kaufleute im Machtkampf?“ Sein Vorschlag für einen goldenen Weg ist eine Dezentralisierung, zum Beispiel in Form einer digitalen Plattform, die alle bedient und dabei die Vorgänge von Bestellung bis Zahlungsabwicklung weiterhin bequem ermöglicht; eine ‚Bio-Zentrale‘, um auch regionale und lokale Bio-Produkte in die Märkte zu bringen.

Gefragt nach dem Beitrag von Discountern zum Bio-Ausbau brach Margrander eine Lanze für die Entwicklung bei Aldi Süd in den letzten Jahren. „Als Aldi Süd 2004 die ersten Bio-Produkte in die Regale stellte, war das noch ein Kulturschock“, erinnert er sich. Inzwischen mache der Discounter einen tollen Job und biete echte Bio-Qualitätsprodukte.

„Die Gesellschaft ist zweigespalten“, so der bioPress-Herausgeber. Auf der einen Seite stünden Qualitätsbewusste, die sich gute Lebensmittel auch leisten können; auf der anderen Leute, die beim Einkauf aufs Geld achten müssen und für die die Qualität zweitrangig ist. Aldi Süd könne mittlerweile beide Gruppen bedienen.

Bio-Obst: Vernetzung gefragt

Dass die Belieferung von Discountern und anderen Großabnehmern auch mit Problemen behaftet ist, berichtete Albert Fuhs, der als Geschäftsführer der Landgard Bio GmbH einen Einblick in die Bio-Obst- und Gemüse-Vermarktung gab. „Bio ist im Mainstream angekommen – der Umgang mit Erzeugern auch“, bemängelte der Lieferant. Das 30-Prozent-Ziel der Regierung sehe er daher momentan auch kritisch. „Wenn dich ein großer Kunde unfair behandelt, wirst du gegen ihn nicht vor Gericht ziehen“, so sein Bedenken.

Allgemein stünden Preise seit Jahren massiv im Vordergrund. Dass ein Produzent nur 20 Prozent vom Endpreis bekommt, sei Normalität. Abhilfe könne zum Beispiel eine Preisbeobachtungsstelle schaffen. Es müssten Regelungen her, um gewisse Eckpfeiler und klare Grenzen für alle zu setzen. Andernfalls bleibe es Realität, dass der Handel eine 130-Prozent-Marge einfährt und alle Kosten zurück in die Produktion tritt. „Das geht so nicht!“, meinte Fuhs heftig.

Ein weiteres Problem seien Versorgungslücken bei regionaler Ware, die auch mit den Schranken zwischen Fachhandel und LEH zu tun hätten. „Die Parallelwelten im Naturkostbereich machen mich traurig“, stellte Fuhs fest. Ein Regionalverteiler könnte völlig unproblematisch sowohl Bioläden als auch den selbstständigen Einzelhandel beliefern. Das würde auch dabei helfen, die Fachhandelsdelle zu überwinden. „Berührungsängste kosten Leistung“, so der Experte.

Dabei sei es gerade im Obst- und Gemüse-Bereich wichtig, sich über regionalen Bezug zu profilieren. Frische aus der Region sei gefragt und würde auch einen schnelleren Takt und Wechsel im Sortiment ermöglichen. „Die Verbindung von Produktion und Handel muss wieder hergestellt werden“, meint Fuhs. Es fehle ein Netzwerk, das sich mit dem beschäftigt, was sich regional steuern lässt, und für Kommunikation zwischen Bündlern und Einzelhändlern sorgt.

Wie sollte eine gute O+G-Abteilung am Ende aufgestellt sein? Vielfältig, wechselnd, regional und frisch, so Fuhs. „Wir haben unendlich viele Dupletten in den Auslagen“, bedauert er. Da sei noch sehr viel Luft nach oben.

Die Kraft des Korns

Ausbaufähig sind auch die Bio-Backabteilungen im Einzelhandel. Ein besonderes Brot stellte Bettina Edmeier von Bettinas Keimbackstube auf der Sonderschau vor: Keimbrot, das ganz ohne Mehl gebacken wird. Stattdessen setzt die Demeter-Brot-Expertin auf gekeimtes Getreide als Grundlage. 24 Stunden wird zum Beispiel Dinkel in Wasser eingeweicht, anschließend kann er ein bis drei Tage gekühlt keimen, bevor er in einem Kutter fein zerkleinert wird. Mit Zugabe von Wasser und Quellsalz aus Portugal entsteht ein Knetteig, der je nach Sorte noch mit natürlichem Backferment aufgelockert und dann weiter „wie bei einem normalen Backprozess“ gehandhabt wird, so Edmeier. Nach einer Ruhephase wird das Brot bei niedriger Temperatur – etwa 110 Grad Celsius – in einer Form gebacken.

„Durch den Keimprozess werden Geschmacksstoffe aktiviert“, erklärt die Bäckerin. Wertvolle Mineralstoffe würden frei und der Vitamingehalt steige an. Außerdem ließen sich Keimbrote gut verdauen, weil Kohlenhydrate ab- und umgebaut werden, sie seien basisch und interessant für Diabetiker.

Seit 17 Jahren ist Edmeier selbstständig mit ihrer Keimbackstube aktiv. Anfangs hat sie die Ware über einen Online-Shop verkauft, dann kamen Wochenmärkte dazu. „Wir waren auch auf einem großen Weihnachtsmarkt und sind schnell gewachsen“, so die Herstellerin. Inzwischen werden 2.500 Brote pro Tag produziert. Es gibt knapp 20 verschiedene Sorten, für die jeweils nur eine Getreidesorte gebraucht wird. Zum ursprünglichen ‚PurBrot‘, das mit gekeimten Dinkel hergestellt wird, kommen auf derselben Grundlage etwa ein Walnussbrot, ein Eiweißbrot mit gekeimten Lupinen und Schälhanf oder ein Ayurveda-Brot mit Radieschensamen und Bockshornklee. Daneben wird Roggen, Hafer, Buchweizen und Quinoa als Basis verwendet. Außerdem liefert die Bäckerei heute auch Süßgebäck: Früchtebrot, Apfelkuchen mit gekeimten Kichererbsen oder Lebkuchen.

Alle Produkte sind Bio, viele tragen zusätzlich das Demeter-Siegel. Bei der Demeter-Brotprüfung 2024 wurden sieben Artikel mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Das Brot verspricht gekühlt eine lange Haltbarkeit (10 bis 14 Tage), es wird in Plastik verpackt verkauft, was aber laut Chefin „noch keinen gestört“ habe.

Einen eigenen Laden betreibt die Keimbackstube nicht, dafür hat sie bereits im LEH Fuß gefasst. Mit Sitz im Chiemgau konnte sie manche Brote nicht nur mit Demeter, sondern auch mit dem Bayerischen Bio-Siegel zertifizieren lassen, für das alle Zutaten aus Bayern stammen müssen. „Damit komm ich in die Rewe-Märkte im Süden rein“, meint Edmeier. Für die ist sie allgemein voll des Lobes: „alles drin, gute Qualität, regionale Produkte“. Zu den Händlern hat sie direkten Kontakt, die Abrechnung erfolgt über die Zentrale. Der Endpreis für ein 500-Gramm-Brot liegt aktuell bei circa 6,10 Euro, im Rewe wird es für 5,90 Euro verkauft.

„Insgesamt ist Bio-Brot im LEH ein untergeordnetes Produkt“, bedauert die Unternehmerin. Auch Bio-Bäcker, die Filialen auf dem Land beliefern könnten, seien außerhalb von Städten nur selten zu finden. Unter dem Kostendruck der vergangenen Jahre gehe der Trend eher dahin, dass Bio-Bäcker und solche mit Bio-Angeboten zumachen müssen oder wieder auf konventionell umsatteln. „Wenn es nicht gut läuft, fliegt Bio oft als erstes raus“, stellt Edmeier fest. Die Pioniere gebe es nach wie vor – das seien aber nicht genug, um die Fläche zu versorgen. „Man muss den Kaufleuten vor Augen halten, was sie verpassen“, kommentiert Margrander.

Rettet die Käse-Theke!

In die Welt des Bio-Käses führte Käsesommelière Astrid Groß die Besucher. Sie ist Geschäftsführungsreferentin beim Feinkost-Großhändler Gerald Bartke mit Sitz nahe Nürnberg, der auf internationale Bio-Käsespezialitäten fokussiert ist.

„Milch, Lab, Salz und Kulturen – Bio-Käse ist ein Naturprodukt mit nur vier Zutaten“, betont Groß. Ob das Lab mikrobiell oder tierischen Ursprungs ist, muss bei Bio-Käse – anders als bei konventionellem – angegeben werden. Außerdem kann der Verbraucher sicher sein, dass es nicht gentechnisch verändert wurde und dass im Käse keine Konservierungsstoffe enthalten sind. „Deshalb braucht Bio-Käse einwandfreie Milch“, so Groß. Fütterung, Tierhaltung… alles spiegele sich später im fertigen Produkt wieder. „Mit Käse kann man viele Leute von Bio überzeugen“, meint die Expertin.

Insgesamt sei eine optisch ansprechende Käse-Theke ein Kundenmagnet. Sie zu betreiben, gehe allerdings auch mit einem hohen Arbeitsaufwand einher. Jeder Käse muss jeden Morgen gepflegt, die Theke kontinuierlich wieder aufgefüllt werden und das Personal sollte sich auskennen und Kunden kompetent beraten können. So kommt es laut Groß, dass immer mehr Theken dem Fachkräftemangel zum Opfer fallen. Anstatt die Theke mit ganzen Laiben zu füllen, die dann individuell auf Kundenwunsch zugeschnitten werden, legen Märkte immer öfter im Vorfeld abgeschnittene, folierte prepacked-Stücke in die Theken. Diese Praxis kann allerdings schnell zu unzufriedenen Kunden und außerdem mehr Lebensmittelverschwendung führen, denn derart verpackt Käse sind nur rund fünf Tage haltbar.

Vakuum: nichts für Weichkäse

Die Krux mit der Theke bestätigte eine Besucherin von der Lübecker Bio-Markt-Kette Landwege. „Weil uns Fachkräfte fehlten, mussten wir den Käse in zwei Filialen komplett auf SB umstellen“, erzählte sie. Dort gibt es jetzt alles nur noch eingeschweißt, was von Seite der Bio-Kunden wiederum zu Kritik wegen des Plastiks führe. „Und ein Brie in Plastik? Das nimmt dem Käse den Charakter“, bedauert sie.

„Weichkäse verträgt keine Vakuumverpackung“, stimmte die Referentin zu. Durch die Abwesenheit von Sauerstoff werde eine anaerobe Reifung angestoßen, durch die sich der Geschmack verändert und der Weißschimmel sogar zerstört wird. Dagegen sei diese Art der Reifung bei Hartkäse erwünscht, erklärt sie weiter. Dort sorge die dünne Coatingschicht dafür, dass kein Sauerstoff an den Käse kommt. Sie besteht zwar aus Kunststoff, hat sich aber bewährt und sollte nach Meinung der Käsesommelière nicht verteufelt werden. Zurück zum Weichkäse bleibt das Fazit: „Auf manche Sorten muss man im SB-Bereich verzichten – es sind nicht alle dafür geeignet.“

Mit Blick auf das Plastikproblem hat Groß eine Lösung für die Bio-Markt-Vertreterin. Das Unternehmen Superseven, das ebenfalls auf der Biofach ausstellte, bietet unter seiner Marke Repaq eine neue plastikfreie Vakuumverpackung für Käse, die auf Zellulosebasis hergestellt wird. „Wir haben sie schon getestet, es funktioniert!“, freut sich die Fachfrau. Im Biomüll solle man die Folie nicht entsorgen, weil die Verrottung zu lange dauert, für Gartenerde sei sie eher geeignet.

Sofern genügend Personal da ist: Wie sollte eine Käse-Theke bestückt sein? „Der Trend geht zu vielen Gouda-ähnlichen Käsen im Sortiment“, so eine Beobachtung der Sommelière. Dabei müsse eine gute Käse-The-ke eigentlich Vertreter jeder Gruppe im Angebot haben: Bergkäse, Schaf- und Ziegenkäse, die besser verträglich sind, Hart- und Schnittkäse genauso wie Weichkäse, Blauschimmel- und Frischkäse. Internationale Spezialitäten sollten auch dabei sein – wohingegen ausgefallenere im Feinkostgeschäft besser aufgehoben seien.

Das Nonplusultra in der Käsevermarktung ist der sogenannte Humidor – „Weinkeller für Käse“, nennt ihn Groß. Dabei handelt es sich um eine eigene Käse-Abteilung, in der ganze Laibe mit einer bestimmten Luftfeuchtigkeit und unter der optimalen Reifetemperatur aufgebahrt werden. Im Einzelhandel hat die Bio Company das Konzept in Märkte integriert und bietet in ihren Humidoren rund 150 Bio-Käsesorten an.

Ansonsten empfiehlt Groß themenspezifische Kampagnen – etwa eine Theke mit Heumilchkäse. Saisonale Aktionsware im Angebot sei wichtig. „Man muss den Kunden eine Wahl bieten“, betont die Fachfrau. Der Großhändler Gerald Bartke stellt Abnehmern 14-tägig wechselnde Flyer zur Orientierung fürs Käsetheken-Sortiment zur Verfügung. Außerdem bietet das Unternehmen Kommissionierung nach Kundenwunsch, es müssen nicht zwingend ganze Laibe bestellt werden. „Das hilft dabei, Vielfalt zu ermöglichen.“

Bisher ist Bartke noch auf die Belieferung von Fachhandelskunden spezialisiert. „Aber wir sehen, dass 100 Prozent Bio den LEH braucht“, gesteht Groß. So gehen ihre Käse inzwischen auch in den inhabergeführten SEH, einzelne Edeka- und Rewe-Märkte.

Bio-Fleisch: Wissen bringt Umsätze

Sorgenkind Bio-Fleisch. 2023 ging sein Absatz laut Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) um 0,3 Prozent nach oben, insgesamt bewegt sich der Anteil am gesamten Fleischmarkt mit etwa vier Prozent allerdings nach wie vor auf niedrigem Niveau. Mit der Vermarktung läuft es weder im Fachhandel noch im LEH besonders rosig.

„Wir haben uns 15 Jahre lang schwer getan, Fleisch im Fachhandel zu vermarkten“, erzählt Luis Sanktjohanser, Sohn der Kauffrau Theresia Quint, die zudem über zwei Dekaden hinweg den Verarbeitungsbetrieb ‚Quint Fleischwaren‘ geführt hat. Heute gehören zu Quint drei Edeka-Märkte im Stadtgebiet von Trier, die ihr Fleisch laut Sanktjohanser insgesamt inklusive Selbstbedienungsware zu 70 Prozent in Bio-Qualität  anbieten. Seit acht Jahren ist der junge Handelsexperte selbst im Familienunternehmen aktiv, im Vorjahr hat er einen Posten als technischer Leiter und Projektmanager übernommen.

Thekenkompetenz im Fachhandel ist nach Sanktjohansers Erfahrung also ein schwieriges Thema, bei den Kunden handele es sich nicht um klassische Fleischkäufer und die Drehgeschwindigkeit passe nicht. Im Supermarkt gebe es diese Probleme zwar weniger – dafür fehlten hier die klassischen Bio-Käufer.

Das hat die Firma Quint nicht davon abgehalten, in ihren Edeka-Märkten ‚offensiv‘ auf Bio-Fleisch zu setzen. 2018 fiel der Startschuss mit der Eröffnung einer 100-Prozent-Bio-Theke. „Das war in unserem größten Markt im Uni-Stadtteil“, berichtet Sanktjohanser, „da gibt es die zahlungskräftigste Kundschaft.“ In den anderen Märkten sei der Umsatz durchwachsener, dort hätten die Kunden eine so radikale Umstellung nicht zugelassen und man habe das Bio-Fleisch-Angebot langsamer hochgefahren.

„Kaufen Sie weniger Fleisch, dann merken Sie’s nicht“ sei ein gängiger Satz in der Kundenkommunikation gewesen, wenn es Beschwerden wegen der höheren Preise gab – auch wenn das gewissermaßen selbst-verkaufsschädigend war. Dabei stimme das gängige Preis-Image von Bio auch nicht und gerade in den letzten Jahren sei der Preisabstand zu konventioneller Ware deutlich geringer geworden. „Unsere letzte Erhöhung ist 14 Monate her“, stellt Sanktjohanser fest. „Bio ist resilienter.“

Um die Kunden über die Vorteile von Bio aufzuklären, hat Quint Warenkundeseminare angeboten. Es wurden Rezeptvorschläge verteilt, um zu zeigen, wie das ganze Tier – inklusive unbekannter Teile – verwertet werden kann. Die Thekenmitarbeiter der Märkte bekommen Basisschulungen zum Thema gesunde Ernährung, Schulungen für mehr Bio-Kompetenz werden etwa vom Forum W, das zum Bioland-Verein Verarbeitung & Handel gehört, angeboten. Dadurch können die Fachverkäufer Kunden beraten und Empfehlungen geben, welche Stücke am besten passen.

„Wissensvermittlung bringt langfristig auch eine Umsatzsteigerung“, ist Sanktjohanser überzeugt. Direkter Kundenkontakt, Mitarbeiter mit Know-How und Produkte mit Gesicht sind für ihn Kriterien, mit denen sich der LEH vom Discount abgrenzen kann.

Dabei ist der bei der Käsetheke erwähnte Mangel an Fachpersonal genauso im Fleischbereich Realität. „Den letzten Fachverkäufer haben wir vor 15 Jahren ausgebildet“, so der Jungunternehmer. Der neue Weg, um an Fachpersonal zu kommen, sei die Unterstützung von Quereinsteigern.

Bei den verschiedenen Ausbildungsberufen, die Quint bietet, bekämen die Azubis in Berufsschulen zwar solide kaufmännische Grundlagen vermittelt, es fehle aber an Wissen über Ernährungsphysiologie und Warenkunde. Daher können die Mitarbeiter viele unterschiedliche Zusatz-Lehrgänge über einzelne Warengruppen absolvieren und sich so individuell fortbilden. Für künftige Führungskräfte bietet Quint zwei duale Studiengänge an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn: BWL Handel und BWL Food Management.

Gegenüber dem Vegan-Trend ist Sanktjohanser kritisch eingestellt. „Fleisch komplett vom Speiseplan zu streichen, ist ernährungsphysiologisch Bullshit“, meint er. Entscheidet man sich dafür, brauche es einen guten Ersatz und Wissen, wie man sich trotzdem vollwertig ernähren kann. Außerdem müsse die Verzehrsmenge insgesamt zunehmen, da man plötzlich auf sehr viele Kalorien verzichtet.

Tierhaltung: Bessern statt Bashen

Das aktuelle Streitthema ‚Tierhaltung – ja, nein, wie?‘ bekam in der Experten-Lounge viel Raum und wurde im Zuge von zwei Buchvorstellungen gesondert behandelt. Die Grünen-Abgeordnete und ehemalige Landwirtschaftsministerin Renate Künast war zu Gast und konnte – wenig überraschend – eine Schar von Interessenten um sich scharen. Gemeinsam mit dem langjährigen IFOAM-Direktor Bernward Geier stellte sie den neu erschienenen Sammelband ‚Nutztiere – Mehr als eine Frage der Haltung‘ vor, der von Künast, Geier und Agrarwissenschaftlerin Stefanie Pöpken herausgegeben wurde.

„Es gab eigentlich kein vernünftiges Fachbuch zum Thema Tierwohl“, sagte Geier über die Motivation der Herausgeber. „Wir wollten kein weiteres Bashing-Buch veröffentlichen, sondern lösungsorientiert und undogmatisch zeigen, wie eine zukunftsgerechte Transformation der Nutztierhaltung aussehen kann.“

15 Leuchtturm-Betriebe werden dafür in dem Sammelband vorgestellt, sieben mit Bio- und acht mit konventioneller Haltung. Dabei sei etwa ein kleiner Bio-Hof nicht unbedingt ein Garant, dass auch in puncto Tierwohl alles rosig aussieht. „Bio muss weg von der Anbindehaltung!“, sind sich Geier und Künast einig.

Wie Geier dagegen in einem Kapitel beschreibt, kann selbst ‚Massentierhaltung‘ in Einklang mit Bio- und Tierwohlstandards gebracht werden. „Die Hestbjerg-Farm in Dänemark hat die beste Schweinehaltung, die ich je gesehen habe!“, schwärmt der Bio-Experte. 1.300 Sauen und 27.000 Ferkel würden dort gehalten, bei 300 Hektar von insgesamt 1.000 handele es sich um Wald und Naturschutzflächen. In einer Agroforstwirtschaft leben die Tiere auf Gras und Waldstreifen, können sich Nester bauen und in Schlammpools baden.

„In der Realität gibt es nicht entweder das Ideal vom kleinen Bio-Hof oder Massentierhaltung“, zieht Künast als Fazit. Ziel des Buches sei es, sich wirklich in der Breite und unaufgeregter als üblich mit dem Thema Tierhaltung zu beschäftigen. Unter dem Credo ‚immer weniger Tiere immer besser halten‘ steht eines ihrer Kapitel. Dabei beziehe sich das ‚weniger‘ auf die notwendige Reduzierung der Tierhaltung insgesamt und nicht unbedingt pro Betrieb. Künast beschreibt, wie in der Politik „Millimeter um Millimeter“ um mehr Tierschutz gerungen werde, seit dieser bereits vor 20 Jahren im Grundgesetz verankert wurde. „Transparenz bis zur TK-Lasagne“ könne ein starkes Tool sein, da die Gesellschaft ein deutliches Mehr an Tierschutz erwarte. „Die Konsumenten sind Teil der Wirtschaft und haben ein Recht zu wissen, wo Produkte herkommen und was drin ist“, so Künast. Die verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung sei ein wichtiger Schritt in einem ganzen notwendigen Maßnahmenbündel, zu dem etwa auch eine Tierwohlabgabe gehöre.

Dass wir in Zukunft eventuell sogar ‚mehr‘ Kühe brauchen, das erklärte der Wissenschaftsjournalist und Autor Florian Schwinn in der Experten-Lounge. In seinem neuen Buch ‚Die Klima-Kuh – Von der Umweltsünderin zur Weltenretterin‘ geht er dem Image von Rindern als ‚Klimakiller‘ auf den Grund. „2010 hat Mercedes eines seiner Fahrzeuge mit ‚klimafreundlicher als eine Kuh‘ beworben“, erzählt Schwinn. Eine solche öffentliche Wahrnehmung war Anlass für ihn, falsche Narrative über die Landwirtschaft und die Viehhaltung enttarnen zu wollen.

„Es gibt weltweit etwas über eine Milliarde Nutztiere“, so der Autor. Die weltweite Kurve der gehaltenen Rinder korreliere aber gar nicht mit der Kurve des Methananteils in der Atmosphäre – während das Methan etwa seit 2007 anstieg, ging der weltweite Rinderbestand zwischen 1990 und 2011 kontinuierlich zurück. Stattdessen sehe man einen klaren Zusammenhang mit Fracking-Gas, für dessen Gewinnung wasserversetzte Chemie in den Boden gepresst wird, wodurch große Mengen von Methan freigesetzt werden. „Methan entsteht auch ohne Kuh“, folgert Schwinn. Und: Kuh ist nicht gleich Kuh. Während die ‚beste‘ Stallkuh 40 Gramm Methan pro Liter Milch produziere, seien es bei einer Weidekuh nach einer Studie der Uni Kiel nur acht Gramm pro Liter.

Als weiteren Mythos spricht der Experte das Thema Wasserverbrauch an: 15.000 Liter Wasser fielen angeblich für ein Kilogramm Rindfleisch an. „Diese Zahl ist viel zu hoch“, kritisiert Schwinn. Einmal wer-de das Wasser nur gebraucht statt verbraucht: Wenn eine Kuh auf der Weide pinkelt, gibt sie das Wasser zurück. Außerdem sei natürliches Regen- und Bodenwasser in die Rechnung miteingeflossen, sodass Stallhaltung demnach sogar besser abschneide – „ein Irrsinn“, so Schwinn.

„Was passiert, wenn wir die Kuh wieder rauslassen?“, fragt der Autor. Man müsste kein Futter mehr importieren, die Kühe würden älter und Wiesen würden wieder als Weiden genutzt, anstatt gemäht zu werden. Klima-, Boden- und Biodiversitätskrise könne man dadurch gleichzeitig bekämpfen. „Gras und Kräuter sind in Koevolution mit Weidetieren entstanden“, so der Experte. Auch die Schwarzerde komme daher – „und wir vernichten sie gerade.“ Die Pflanzen auf Weiden wurzelten weiter in die Tiefe, in einem einzigen Kuhfladen lebten 4.000 Insekten, die Weide binde mehr CO2 als Waldboden und sei auch in puncto Wasserhaltefähigkeit Spitzenreiter: 40 Prozent mehr als eine Wiese und 60 Prozent mehr als Acker- und Waldboden.

„Die Agrarwende muss eine Kuhwende sein“, ist Schwinns Fazit. Es brauche eine diversere Landwirtschaft ohne die Trennung von Ackerbau und Viehzucht, Futter-Mist-Kooperationen („die Kuh kann 80 Mal besser verwerten als eine Biogasanlage“) statt Kunstdünger und flächengebundene Tierhaltung, in der ein Hof nur so viele Kühe hält, wie er selbst ernähren kann. Am Ende müsse es deutlich weniger Schweine und Hühner geben, während die Rinderhaltung insgesamt sogar zunehmen könne.

Kleinbetriebe müssten wieder Weidezugang bekommen und selbst wiedervernässte Moorflächen könne man beweiden lassen: mit Wasserbüffeln oder Highland Cattle. Auch die harte Grenze zwischen Wald und Flur gelte es aufzulösen und wieder mehr auf Waldweiden zu setzen. Nur wenige Vögel bräuchten dichte Wälder, in lichten, halboffenen Wäldern könne man durch Beweidung die Artenvielfalt fördern.

„Das Fach Weidemanagement fehlt in Deutschland komplett“, bedauerte Schwinn abschließend. Mehr Leben durch Kühe: Bis eine industrielle Landwirtschaft zu diesem Ideal kommt, dürfte es noch ein weiter Weg sein.

Lena Renner

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