Messe
Kunstfleisch, Fairness und Bio-Züchtung
Der Biofach-Kongress 2022 zeigte Branchen-Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft

Bio.Klima.Resilienz.: Unter diesem Motto versammelte die Biofach ihr diesjähriges Kongressprogramm. 123 Veranstaltungen, verteilt auf sieben Foren – darunter Politik, Nachhaltigkeit und ein neues Forum Landwirtschaft – ließen den Besuchern die Qual der Wahl. Von aktuellen Entwicklungen am deutschen Bio-Markt über die Notwendigkeit von mehr Fairness im Handel bis hin zur Brisanz von Bio-Züchtung angesichts der drohenden Deregulierung von Gentechnik gab es viel zu diskutieren und zu erfahren.
„Für 25 Prozent der globalen CO2-Emissionen ist die Landwirtschaft verantwortlich“, zitierte Louise Luttikholt, Chefin des Bio-Dachverbands IFOAM – Organics International, in der Eröffnungs-Pressekonferenz eine Greenpeace-Studie. „Abermals 25 Prozent davon werden durch Kunstdünger verursacht.“ Die Notwendigkeit von Agrarökologie für das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele stehe damit außer Frage – auch um angesichts der steigenden Stickstoffdünger-Prei-se mehr Unabhängigkeit zu gewährleisten. Der Ukraine-Krieg sei kein Grund, jetzt auf konventionelle Landwirtschaft umzuschwenken.
„Jetzt erst recht“ lautet auch die Devise für Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW). „Die Klimakrise wartet nicht auf das Kriegsende“ und die Bio-Landwirtschaft biete Antworten auf die Klimakrise. Damit die Agrarwende mit dem Ziel von 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 in Deutschland gelingen kann, brauche es allerdings noch mehr Rückenwind von der Politik.
„Wer 30 Prozent will, muss mit 30 Prozent mehr Power fördern, als es aktuell der Fall ist“, so die BÖLW-Chefin. 90 Milliarden Euro Schaden würden momentan nach Angaben der Boston Consultant Group jährlich durch die Ernährungsbranche verursacht – „eine volkswirtschaftliche Katastrophe.“ Um das zu ändern, sei ein Ausbau des Etats für Bio-Forschung nötig, es müsse Ernährungsbildung schon im Kleinkindalter angeboten werden, günstigere Bio-Lebensmittel, deren Prei-se die ökologische Wahrheit sagen, sollten eine gesunde Versorgung ohne soziale Hürden ermöglichen, nicht zuletzt in der Außer-Haus-Verpflegung, und klein-strukturierte Bio-Betriebe brauchten entsprechende Absatzkanäle.
Regionale Wertschöpfung stärken
„Stadt und Land müssen sich wieder stärker vernetzen“, betonte Marcus König, Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, in seiner Eröffnungsrede. Land-wirtschaft und Ernährung seien eine kommunale Aufgabe und die Bio-Metropolregion Nürnberg mache sich dafür stark, die regionale Wertschöpfung zu fördern und das Lebensmittel-Handwerk attraktiver zu gestalten.
Dafür, zielgerichtet Daten über Bio-Verarbeiter zu erheben, sprach sich ein Panel zur Bio-Herstellung in Deutschland aus. Denn: Ohne Datengrundlage auch keine Förderung. Bohlsener Mühle-Chef Volker Krause beklagte die Destruktion ländlicher Räume, auch mit ihrer sozialen Komponente. Die Mühlen würden immer weniger und könnten so auch Diversität immer weniger abbilden. Für Sorten wie Hirse, Buchweizen und Leinsaat fehle es den Landwirten an Abnehmern und Verarbeitungsmöglichkeiten.
Mit Nachhaltigen Ernährungssystemen in Stadt und Land setzt sich Burkhard Kape von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des sogenannten ‚Nationalen Dialogs‘ auseinander. Zur Förderung des Handwerks gelte es dafür neben der Erhebung von mehr Marktdaten, bürokratische Hürden abzubauen und mehr Fachausbildungsplätze anzubieten. Ernährungsinitiativen wie die Ernährungsräte, die als zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse zukunftsfähige Ernährungssysteme auf lokaler Ebene etablieren wollen, sollten staatlich unterstützt und der Austausch zwischen regionalen Treibern wie Bio-Städten und Öko-Modellregionen vorangebracht werden.
Die Unterstützung der EU-Kommission für den Ausbau von Bio sicherte Agrarkommissar Janusz Wojchiechowski auf der Biofach zu. „Bio-Landwirtschaft ist progressive Landwirtschaft“, betonte er und bedankte sich bei allen Bio-Landwirten, -Verarbeitern und -Händlern für ihren Beitrag zur Ernährungssicherheit nach zwei Krisenjahren. Um Bio weiter voranzutreiben, sollten 30 Prozent des Agrar-Forschungsbudgets der EU sich künftig auf die Förderung des Bio-Sektors konzentrieren.
Öffentliche Gelder für öffentliche Güter
Ein ebenso hohes Forschungsbudget in Deutschland – statt den aktuell gerade mal zwei Prozent – kündigte auch der neue Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir in seiner mit Spannung erwarteten Ansprache an. Damit solle vor allem der Bereich der Pflanzenzüchtung und die Steigerung der Ertragspotenziale im Ökolandbau gefördert werden.
175 Millionen Euro seien im nächsten Jahr für einen Sonderrahmenplan der GAK (Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes) ‚Ökolandbau und biologische Vielfalt‘ vorgesehen, mit dem sowohl Umstellungen als auch Beibehaltungen unterstützt werden sollen.
Damit es mit der nächsten Reform der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP) besser läuft, arbeite das Ministerium außerdem schon jetzt an einem Konzept, mit dem die Direktzahlungen nach 2027 durch eine Honorierung von Klima- und Umweltleistungen ersetzt werden sollen: „öffentliche Gelder für öffentliche Güter!“
„Es geht nicht nur um einen Ast, an dem wir sägen – heute geht es um die Wurzel des Baumes selbst, der uns ernährt“, verdeutlichte der Minister den Ernst der Lage. „Lasst uns Naturschutz so erzählen, dass er die Leute berührt!“ Werde Bio von Gegnern als Bremsklotz der Ernährungssicherung diffamiert, sei es in Wirklichkeit ein wichtiges Vorbild – mit 90 Prozent weniger Ausgaben für Düngemittel und einer besseren Krisenresilienz. In puncto Effizienz rief Özdemir dazu auf, auch über „Tank, Trog und Tonne“ zu sprechen: Damit was wir ernten auf dem Teller landet, anstatt in Kraftstoff, Futtertrögen und der Bio-Tonne.
Der Discount boomt, der Fachhandel schwächelt
Nach dem Riesensprung 2020 und dem anhaltenden Wachstum 2021 musste der Bio-Markt in Deutschland in den ersten beiden Quartalen von 2022 erstmals wieder Einbußen verzeichnen. Insgesamt belief sich die Umsatzänderung verglichen mit dem Vorjahreszeitraum von Januar bis Juli nach Angaben der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (AMI) auf minus 5,4 Prozent. Während der Verkauf bei den Vollsortimentern nur um 1,6 Prozent zurückging, mussten die sonstigen Einkaufsstätten ein Minus von 19 Prozent und der Naturkostfachhandel gar einen Rückgang von 22 Prozent einstecken. Freuen können sich dagegen die Discounter mit einem Bio-Umsatzplus von 11,5 Prozent – die Preisexplosion der letzten Monate scheint sich bereits im Gang zu günstigeren Einkaufsstätten bemerkbar gemacht zu haben.
Vegan weiter im Trend
Gestiegen sind im letzten halben Jahr weiterhin die Einkaufsmengen für pflanzliche Drinks in Bio-Qualität (+7,4 Prozent), für Bio-Fleischersatzprodukte (+5,2 Prozent) und für Speiseöl (4,5 Prozent). Beim Milch- und Fleischersatz fällt auf, dass besonders viele Junge nach den veganen Alternativprodukten greifen.
Wenn man die saisonalen Bio-Anteile in der Frische mit dem Jahr 2019 vergleicht, ist selbst im Juni noch ein deutliches Plus auszumachen. Auch weltweit stellt sich das Bio-Marktwachstum aktuell ähnlich wie vor der Pandemie dar.
Mit Blick auf die Bio-Anteile in den verschiedenen Bundesländern stach nach dem Stadtstaat Hamburg mit 13,3 Prozent das Land Hessen mit einem Anteil von 12,9 Prozent hervor. Als Erklärung wies Hans-Christoph Behr, Bereichsleiter ökologischer Landbau und Verbraucherforschung bei der AMI, auf die wichtige Wirkung der in Fulda beheimateten Einzelhandelskette tegut hin. Die nächsten Plätze belegen die Stadtstaaten Berlin und Bremen, gefolgt von den Ländern Ba- den-Württemberg (10,3 Prozent) und Bayern.
Kunstfleisch: Grauen 4.0
Herausforderungen für das Bio der Zukunft standen auf dem Plan der diesjährigen bioPress-Panels. Kunstfleisch aus der Retorte als neuester „Auswuchs der gegenwärtigen Industrialisierung der Landwirtschaft“, wie der Agrarwissenschaftler Hardy Vogtmann es nannte, bedroht die Existenzen von Millionen Kleinbauern zugunsten einer Produktion in der Hand weniger. „Der wissenschaftliche Erfolg ist schon da, die Frage ist: muss man auch?“, so Vogtmann.
Als „Grauen 4.0“ titulierte die Grünen-Europaabgeordnete Sarah Wiener die Entwicklung „von der Natürlichkeit zur Künstlichkeit“. Seit Jahren nehme der Trend zu hochverarbeiteten Lebensmitteln zu – „und jetzt essen wir nur noch die Zusatzstoffe?“ Dass aber „minderwertige Surrogate aus Bioreaktoren“ keine Lösung des Problems der Massentierhaltung darstellen, steht für sie außer Frage.
Tierhaltung und Pflanzenbau in der Landwirtschaft wieder zu verbinden und einer Entfremdung der Konsumenten von der Produktion entgegenzuwirken, hält Thomas Dosch für den richtigen Weg. Der langjährige Bioland-Chef und jetzige Leiter des Hauptstadtbüros der Tönnies-Unternehmensgruppe wünscht sich eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Landwirtschaft und eine Stabilisierung der Herstellung in Deutschland, anstatt mit Schwarz-Weiß-Denken und der Berufung auf Tierleid die Machtkonzentration weniger weiter voranzutreiben.
Dass genau die Tierwohl-Rhetorik jedoch durchaus verfängt, zeigte sich in kritischen Publikumsstimmen, denen das „Kunstfleisch-Bashing“ der Veranstaltung zu weit ging. „Wir haben Gentechnik bis heute erfolgreich bekämpft“, stellte bioPress-Herausgeber Erich Margrander fest. „Kunstfleisch braucht jetzt genauso eine Antibewegung!“
Bio, angekommen im Mainstream
Weiteren Antrieb kann dagegen Bio im selbstständigen Lebensmitteleinzelhandel brauchen. Von seiner inzwischen 600 Quadratmeter großen Bio-Themenwelt in Rostock, die nun stückweise durch Einordnung in die Regale erweitert wird, erzählte der junge selbstständige Edeka-Kaufmann Stephan Cunäus. Seine Grundsatzentscheidung: Wenn Flächen frei werden, werden die mit bio-regional gefüllt. So will er den Handel revolutionieren und auf die Zukunft vorbereiten.
Für Erzeuger sei die Einlistung bei Edeka gar nicht weiter schwierig, meint er: „einfach die Kaufleute anschreiben oder anrufen!“ Beim Aufbau seiner 250 Meter großen Regionalwelt habe er alle Lieferanten-Gespräche selbst geführt. Allgemein würden die Kaufleute aktuell immer hellhöriger für Bio – auch aus Image-Gründen und aus kaufmännischem Interesse.
„Nur mit Bioläden schaffen wir 100 Prozent Bio nicht“, gesteht Harald Rinklin, Geschäftsführer des baden-württembergischen Bio-Großhändlers Rinklin Naturkost, ein. „Die Frage ist nur, wer es macht.“ Rinklin selbst beliefert hauptsächlich den Naturkostfachhandel, arbeitet aber auch mit wenigen Edekas zusammen – „solche, die nicht zu sehr den Preis drücken, sodass genug für die Erzeuger bleibt.“ Der Fokus liege auf der direkten Zusammenarbeit mit regionalen Händlern vor Ort und festen Partnerschaften. Rinklin kann sich zwar vorstellen, noch etwas mehr im LEH mitzuspielen, will aber andererseits „Kollateralschäden der Masse“ vermeiden und nicht von den großen Marktplayern abhängig sein. „Schnuppern ohne Stress“ sei momentan die Devise.
Die Lieferantenseite des Podiums verkörperte Albert Fuhs, der als Geschäftsführer der Landgard Bio GmbH bereits seit 1997 den LEH mit Bio-Obst und -Gemüse beliefert und mittlerweile bundesweit tätig ist. Sein Ansporn: Bio für die Menschen zugänglich machen, für die normalen Bürger.
Die Schwierigkeit für Lieferanten, die in den LEH wollen, sieht er vor allem in der großen Machtkonzentration der Abnehmer. In den 90ern habe es noch um die 100 namhafte Handelshäuser gegeben, jetzt beherrschten sechs große Ketten den Markt, was die Situation für Lieferanten deutlich erschwere. Die kleinen Erzeuger müssten sich mehr zusammentun, um besser verhandeln zu können.
Ökologisches Fairplay
Für mehr Fairness auf dem Markt – sowohl in Deutschland, als auch international – will sich die neu gegründete Allianz ‚Faire und Ökologische Marktwirtschaft‘ (FÖM) stark machen. Ihre Mitglieder sind die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL), der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN), die Bioanbauverbände Bioland, Naturland und Demeter, das Forum Fairer Handel, die Gepa und die Kloth & Köhnken Teehandel GmbH. Ihre Vision ist ein Faires Miteinander im Handel, der Weg von UTPs (unfair trade practices) zu FTPs (fair trade practices).
Dafür haben sie fünf grundsätzliche Handelspraktiken für einen fairen Umgang erarbeitet:
- Die Konditionen der Verträge sind klar und verständlich formuliert und werden auf Augenhöhe und partnerschaftlich vereinbart.
- Hersteller und Handel sind beide gleichermaßen an den Kosten für Nachhaltigkeitsstandards beteiligt, die als Grundlage für die gemeinsame Geschäftstätigkeit dienen.
- Jedes Unternehmen trägt das wirtschaftliche Risiko für seinen Geschäftsbereich.
- Investitionen werden von jedem Unternehmen selbst getragen, Zuschüsse werden nur in beiderseitigem Interesse vereinbart.
- Die Verträge enthalten keine Formulierungen, die zu einseitigen finanziellen Belastungen einer der Parteien führen.
Als „ersten Schritt auf der Reise“ erklärte Gepa-Chef Peter Schaumberger die Absichtserklärung der Allianz, für deren Kommunikation nach außen auf der Biofach der Startschuss fiel. In der weiteren Entwicklung ist geplant, eine Beschwerdestelle für Verstöße gegen die Handelsgrundsätze einzurichten. Der Handel soll außerdem im nächsten Schritt in die Diskussion und zu einer Weiterentwicklung der Grundsätze miteinbezogen werden.
Gentechnik: Wahlfreiheit in Gefahr
Neben künstlicher Ernährung und fehlender Fairness am Markt bleibt die drohende Deregulierung der Gentechnik eine der drängendsten Herausforderungen für die Bio-Branche. Als „Kampfansage an das System Öko“ bezeichnete Tina Andres den für die neue Gentechnik CRISPR/Cas in Aussicht stehenden Wegfall der Kennzeichnungspflicht, und als nicht im Sinne der Verbraucher, von denen über 80 Prozent keine Gentechnik auf ihrem Teller wollen.
„Solange Gentechnik draufsteht, kauft es keiner“, erklärte Daniela Wannemacher vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Deshalb sei es den großen Playern ein Anliegen, dass die Kennzeichnung verschwindet. „Die Kommission wird die neue Verordnung als nachhaltig verkaufen und nicht als Deregulierung“, befürchtet Thomas Graner vom Bundesamt für Naturschutz (BfN).
Aktuell läuft zur Regulierung neuer Gentechnik ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren, mit dem die Mitgliedstaaten die EU-Kommission beauftragt haben, wie Martin Sommer von IFOAM Europa berichtete. Eine öffentliche Konsultation, bei der Landwirte, Verarbeiter und andere Bürger nach ihrer Meinung zum Thema befragt wurden, wurde in der Woche vor der Biofach abgeschlossen. Die Mitgliedstaaten und Parlamentarier werden nun im kommenden Jahr ihre Position zu einem Gesetzesvorschlag erarbeiten.
Es sei jetzt an der Zeit, das Gespräch mit den zuständigen Vertretern zu suchen. In Deutschland sind sowohl das Ministerium für Landwirtschaft als auch das Umweltministerium und das Ministerium für Bildung und Forschung an der Positionsfindung Deutschlands beteiligt. „Wir brauchen eine konzertierte Aktion und müssen alle aktivieren, an die wir herankommen“, rief Andres auf. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) hat zur Durchsetzung des Vorsorgeprinzips und weiteren Kennzeichnung von Gentechnik eine Petition gestartet, die online unterzeichnet werden kann.
Bio von Anfang an
Sollte der schlimmste Fall eintreten und die Kennzeichnungspflicht neuer Gentechnik ausgesetzt werden, liegt ein Ausweg für die weitere Garantie für Gentechnik-Freiheit in der Bio-Züchtung. Bisher stammen noch über 90 Prozent der im Ökolandbau verwendeten Pflanzen aus konventioneller Züchtung. Der Schweizer Verein bioverita möchte das ändern und ‚Bio von Anfang an‘ voranbringen. Bereits 131 Gemüsesorten hat er mit seinem Label für Bio-Züchtung zertifiziert. Insgesamt sind über 100 Initiativen in ganz Europa in dem Bereich aktiv, viele davon in Deutschland.
Die Unterschiede zur konventionellen Züchtung erläuterte Niklaus Bolliger, der seit rund 20 Jahren in der biologisch-dynamischen Apfelzüchtung aktiv ist. Die Arbeit geschehe nicht in Laboren und hinter Bildschirmen, sondern in enger Zusammenarbeit mit der Praxis. Sie sei auch nicht auf einzelne Probleme fokussiert, sondern integriert im Bio-System und darum bemüht, neue Pflanzen zu entwickeln, die tauglicher für den Ökolandbau sind.
„Die wissenschaftliche Anerkennung der Bio-Züchtung fehlt oft“, bemängelte Monika Messmer, Gruppenleiterin für Pflanzenzüchtung beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau Schweiz (FiBL). Dabei sei es sehr innovative Arbeit, in die etwa auch Big Data Analysen miteinfließen – nur eben ohne technischen Eingriff ins Genom. Anstatt die CRISPR/ Cas-Forschung zu fördern, könnten öffentliche Gelder auch in die Bio-Züchtung gehen.
Kommunikation für mehr Kundenakzeptanz
Eine Honorierung des Mehraufwands fehlt auch Sabine Kabath, Bio-Gärtnerin und Vizepräsidentin von Bioland. Von Kunden wünscht sie sich mehr Toleranz mit Blick auf optische Defizite. „Im Handel ist bei Äpfeln aktuell kaum mehr ein Fleckchen tolerabel“, stimmte Bolliger zu. Es müsse daher der Wert der verschiedenen Sorten mit ihren verschiedenen Erntezeitpunkten besser kommuniziert werden.
Die Konsumenten sollten als aktive Partner des Wandels mitgenommen werden, wünscht sich Sascha Damaschun, Geschäftsführer des Bio-Großhändlers Bodan Naturkost. Dafür brauche es eine klare und deutliche Kommunikation. Ideal wären Leuchttürme auf Verarbeitungsebene, da Markenprodukte im Regal eine höhere Standzeit als Obst und Gemüse und eine größere Produktidentifikation mit sich bringen. „Eine Bäckerei mit bioverita-Auslobung wäre su-per!“, spann bioverita-Geschäftsleiter Markus Johann den Gedanken fort.
„Wir denken an morgen, wirtschaften aber im Heute“, so Damaschun. In einem System, das auf Produktivität ausgelegt ist, gelte es, wieder mehr Platz für Sortenvielfalt im Anbau zu schaffen und der Nische einen Raum freizuräumen.
Für die Biofach 2023 steht der gemeinsam mit IFOAM und BÖLW gestaltete Kongressschwerpunkt bereits fest. Vom 14. bis 17. Februar wird dann die Leitfrage ‚Öko-Landwirtschaft, Klimaschutz, Gesundheit: Gesunder Boden – gesunder Mensch – wie hängt das zusammen?‘ in den Blick genommen.
Lena Renner