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Wie werden 30 Prozent Bio umgesetzt?

Selbstständige Lebensmittelhändler zu Verbündeten machen mit Bio-Vollsortimenten

Wie werden 30 Prozent Bio umgesetzt?
Der E-Center Stengel in Fürth konnte im Jahr 2019 mit Hilfe eines regionalen Großhändlers sein Bio-O+G Angebot auf 120 Artikel ausbauen. Der drei-Meter-Aufbau verkaufte in einer Aktion im Eingangsbereich 4.000 Mangos pro Woche. So funktioniert Bio im Mainstream.

Von 200 Milliarden Euro Lebensmittelumsatz pro Jahr ausgehend, liegt der Bio-Anteil bei rund acht Prozent oder 16 Milliarden Euro. Der Umsatz ist in der aktuellen Krise etwas gesunken. Das wird sich jedoch wie schon in allen Krisen der letzten 30 Jahre kurzfristig wieder erholen. Nach dem aktuellen politischen Willen in Deutschland und der EU soll der Bio-Anteil auf 30 Prozent wachsen. Bei dieser Entwicklung wird sich die Marktverschiebung weg vom Fachhandel weiter auswirken. Die Flucht zum Discounter kann nicht die letzte Antwort sein, ist doch sein Angebot weit weg vom Vollsortiment. Wo stehen heute die Vollsortimenter? Das soll die Umfrage BIOimSEH 2023 herausfinden und aktuelle Daten liefern.

Bis Ende der 90er Jahre war das Bio-Angebot konzentriert auf die Naturkostfachgeschäfte, Lebensmittelhandwerk (Bäckereien, Metzgereien) und Hofläden, Abokisten oder kleinteilig in Reformhäusern. Andere Vertriebsschienen wie konventionelle Supermärkte oder Discounter hatten keine nennenswerten Angebote. Rewe und damals noch Tengelmann sowie einige Großflächen-Betreiber hatten mit so genannten Bio-Blöcken begonnen. Die Gastronomie war noch gar nicht erwacht.

Dann kam der BSE-Fleischskandal und in dessen Gefolge über Nacht die Grünen ins Bundeslandwirtschaftsministerium. Renate Künast sollte das Vertrauen in die Bauern wieder richten. Sie hat sich für Bio stark gemacht, das 20 Prozent Bio-Ziel ausgerufen und innerhalb eines halben Jahres das lizenzfreie Bio-Siegel geschaffen.

In den folgenden vier Jahren hatten neue Akteure die Bio-Branche völlig verändert, vorne weg die Naturkostfach-Branche. Bioläden mutierten reihenweise zu Bio-Supermärkte. Die haben vorgemacht, dass Bio-Vollsortimente möglich sind und kein Bio-Konsument irgendeinen Verzicht üben muss.

Die Bio-Blöcke im LEH wurden größer. Edeka kam auf den Plan und hat nachgeholt, was sie verschlafen hatten. Aldi stieg als erster Discounter offensiv ins Bio-Geschäft ein. Die Bio-Eigenmarken wurden der höheren Wertschöpfung wegen zu den profitabelsten Handelsmarken. Und das Marktvolumen explodierte geradezu.

Bio erobert den Mainstream

Im Jahr 2000 hat der bioPress Verlag zusammen mit der CMA eine Umfrage im Lebens-mitteleinzelhandel durchgeführt und herausgefunden, dass der Bio-Sortimentsanteil im LEH bei 0,8 Prozent lag. Eine Statistik über die Umsätze gab es noch nicht.

Die aktuellen rund 15,5 Milliarden Euro Bio-Umsatz werden heute nur noch mit etwas mehr als 20 Prozent Anteil im Fachhandel erzielt. Bioprodukte finden sich überall im Lebensmittelhandel. Wer aber ausschließlich rückstandsfreie Lebensmittel in seiner Küche verarbeiten will, findet das dafür notwendige Bio-Vollsortiment hauptsächlich in den Bio-Supermärkten.

Das steigende Ernährungsbewusstsein und die weithin verbreiteten Erkenntnisse über die Folgen der Agrochemie und die Zusatzstoffe in der Nahrungsmittelproduktion, die Forderungen an das Tierwohl und der Beitrag der ökologischen Landwirtschaft zum Klimawandel sind heute die Treiber für Bio. Immer mehr Menschen entscheiden sich für gesunde Ernährung.

Der gesamte Bio-Umsatz belief sich im Jahr 2000 auf zirka 1.600 Millionen Mark. Die Verzwanzigfachung bis heute soll jetzt weiteren Schub auf 30 Prozent Bio bekommen. Das ergäbe dann ein Bio-Umsatzvolumen von zirka 60 Milliarden Euro. Ein Teil der Steigerung soll mithilfe des politischen Willens in der Außer-Haus-Verpflegung erzielt werden.

Wo finden Verbraucher ihr Bio?

Allerdings wird das gesetzte Ziel nicht ohne die privaten Küchen zu erreichen sein. Auch wenn es einfacher erscheint, wenige Entscheider zu überzeugen die dann viele Essen kochen, als viele Millionen Konsumenten einzeln zu gewinnen, ist die wichtigste Aufgabe noch ungelöst. Wer soll die Brücke vom Acker auf den Teller bauen? Wo stehen die Brückenpfeiler?

Der Biomarkt besteht zurzeit aus viel Konzentration. Auch im Fachhandel dominieren wenige Player, Dennree und Alnatura, sowie einige Bio-Supermarktketten, von denen allerdings aktuell etliche in Schwierigkeiten geraten sind. Die Schere zwischen 2.300 Naturkostfachgeschäften mit Vollsortiment und zehntausenden herkömmlichen Bio-Einkaufsstellen mit viel vom Gleichen und bei weitem keinen Vollsortimenten wird weiter auseinander gehen.

Die Einkaufsstätten mit Bio-Vollversorgung sind in Gefahr, weil die wenigen Outles keine flächendeckende Versorgung möglich machen. Es wiederholt sich das Tante-Emma-Problem. Die Verbraucher holen sich Teilsortimente in den naheliegenden Einkaufsstätten und nur noch den Rest beim Bio-Vollsortimenter. Kann der das überleben?

Dazu kommen die hohen Kosten für relativ kleinstrukturierte Bio-Supermärkte, die eigentlich eher Selbstbedienungsläden mit durchschnittlich weit unter 600 Quadratmeter sind. Die Kosten im Lebensmitteleinzelhandel orientieren sich wie auch die Kundenfrequenz an den heutigen Strukturen für Supermärkte. Das sind größere Flächen, eine größere Anzahl an Mitarbeitern, Kundennähe, Service-Orientierung, angepasste Einkaufsumgebungen und moderne Management-Methoden. Kurz: Supermärkte sind Bio-Läden und Bio-Supermärkten betriebswirtschaftlich überlegen.

Im Supermarkt fehlen die Bio-Vollsortimente

Aktuell ist im Biomarkt ein Realitätsabgleich gefordert. Mit dem Motto ‚weiter so‘ kann der nicht gelingen. Wenn sich alles verändert, bleibt zurück, wer sich den Aufgaben der neuen Marktverhältnisse nicht stellt.

Die Naturkostbranche ist ein Fachhandel, der nicht ganz Deutschland mit Bio versorgen kann. Macht die Branche ihre Hausaufgaben, bleibt sie die Speerspitze. Dafür müssen sie jedoch verkehrsfähig bleiben und ihre Position als Fachhandel behaupten, nicht als Biomarktführer.

Im LEH lauern andere Probleme: die vorherrschenden Strukturen. 92 Prozent der Abverkäufe sind konventionell. Den Spagat zu Bio wird die Machtstruktur in den Zentralen von heute nur schwer schaffen. Es sind andere Inhalte gefragt und noch ungeübte neue Schwerpunkte müssten gelernt und umgesetzt werden.

Die selbstständigen Kaufleute mit ihren rund 10.000 flächendeckenden Outlets sind da flexibler, auch wenn sie mit ihrer starren Vorstufe eng verbunden sind. Die wichtigste Aufgabe der Kaufleute besteht in der Zuwendung an ihre Kunden. Sie sind der Schlüssel zum Erfolg, nicht nur die Einkaufspreise. Allein die Masse reicht so wenig aus wie viel vom Gleichen. Sie brauchen echte Biovielfalt in allen Warengruppen, nicht nur im Trockensortiment.

Die Verbraucherbedürfnisse sind nicht überall gleich. Und sie sind nicht überall gleich entwickelt. Wie also soll dem eine kommerzielle zentrale Organisation gerecht werden können? Bio ist auf dem Vormarsch. So oder so. Sich seiner Aufgabe zu stellen und sich sein Vollsortiment zu entwickeln ist nicht einfach.

Die konventionelle Vorstufe kann bei ihren historisch gewachsenen Gewohnheiten unmöglich die Speerspitze der Entwicklung hin zu Bio-Vollsortimenten sein. Und die existierenden Bio-Vorstufen öffnen sich den Kaufleuten nur langsam oder gar nicht, obwohl deren Outlets flächendeckend existieren und der Aufgabe Bio-Vollsortimente für Alle gewachsen wären.

Wo stehen die Bio-Angebote der Kaufleute mit ihren Vollsortimenten heute? Kommen sie zurecht mit den Bio-Angeboten ihrer Vorstufen? Beim Einkaufen wird deutlich, dass sie damit den Verbraucher-Ansprüchen nicht gerecht werden. Wo finden sie Alternativen, mit denen sie die Lücken füllen können?
Diese Fragen werden aufgeworfen mit der Studie BIOimSEH (siehe folgende Seiten). Sie soll helfen, den Status Bio im Mainstream zu erfassen und neu zu beleben.

Erich Margrander

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