Bio-Züchtung
Von Schorf-Weltmeistern und alten Sorten
Hans-Joachim Bannier über Wege und Irrwege der Apfelzucht

Warum liegen im Supermarkt vor allem Äpfel, die nur mit Hilfe vieler Pestizide gezüchtet werden können? Wie ist es möglich, einen komplett pestizidfreien Obstanbau zu betreiben? Und welche Chancen liegen in der biologischen Züchtung mit alten Sorten? In seinem Vortrag ‚Warum Gentechnik die Probleme der Landwirtschaft nicht lösen kann und warum wir stattdessen die Vielfalt brauchen‘ hat der Apfel-Experte Hans-Joachim Bannier mit falschen Narrativen aufgeräumt und dabei die Geschichte der Apfelzucht von 1800 bis heute nacherzählt. Etwa 150 Interessierte verfolgten das Online-Event am 2. März, das vom Ulmer Bündnis für eine agrogentechnikfreie Region sowie dem Bündnis für Artenvielfalt Ulm veranstaltet wurde.
Rund 400 Apfelsorten aus acht Jahrhunderten wachsen im Obst-Arboretum Olderdissen in Bielefeld, das Hans-Joachim Bannier 1995 ins Leben gerufen hat. Es gibt drei Hektar Streuobst und zwei Hektar Sortengarten. Inzwischen wird das mit Bioland zertifizierte Obst auch im eigenen Hofladen verkauft.
„Die einzige Spritzung, die wir verwenden, ist die gegen Apfelwickler“, stellt Bannier klar. Ansonsten werde auch auf das im Bio-Obstanbau gängige Schwefel und Kupfer verzichtet, das zwar deutlich besser als chemisch-synthetische Pestizide sei, sich aber im Boden anreichern und so das Bodenleben negativ beeinflussen könne.
Der Hauptgegner: Apfelschorf
Damit hat das Arboretum ein Alleinstellungsmerkmal. Denn: „Die Obstbauern sind sich einige, dass es ohne Spritzen nicht geht“, so Bannier. Die Themen Krankheit und Schädlingsprobleme stünden im heutigen Obstbau permanent im Fokus. Als Hauptproblem gilt die Pilzkrankheit Apfelschorf, der an zahlreichen dunklen Flecken auf Äpfeln und Blätter erkennbar ist.
„Gerade heute gängige Sorten wie Jonagold sehen bei mir oft schrecklich aus und sind nur schwer vermarktbar“, erzählt Bannier. Im Supermarkt könnten diese Äpfel nur so makellos verkauft werden, weil sie mit vielen Fungiziden behandelt wurden. Mengenmäßig werden im Obstanbau von allen landwirtschaftlichen Kulturen am meisten Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Üblich sind laut Bannier 20 bis 30 Spritzungen mit diversen Pestiziden von der Blüte bis zur Ernte. Und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln steige in Deutschland immer noch stetig an.
Vom Edelborsdorfer zum Holsteiner Cox
„Das war aber nicht immer so“, betont Bannier. Die ersten Pestizide seien erst in den 1880er Jahren entdeckt worden. Vor 1900 habe der Obstanbau in Deutschland fast ausschließlich als Nebenerwerbstätigkeit von Landwirten stattgefunden. Weil es noch keine Pflanzenschutzmittel gab, konnten großflächig auch nur robuste Sorten angebaut werden.
Edelborsdorfer, Martens Sämling oder Luxemburger Triumph heißen die schorfresistenten Äpfel, die damals verwendet wurden. Zwischen 1850 und 1930 habe man erstmals mit gezielter Kreuzungszüchtung begonnen, also etwa eine robuste Sorte mit einer besonders wohlschmeckenden gekreuzt. Dabei entstanden Sorten wie der Holsteiner Cox (um 1900), Alkmene (um 1930) oder Discovery (1940).
Die Pestizidwende
Die Wende kam mit der Entwicklung von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln in den USA ab den 1930er Jahren. Aufgrund der neuen Spritzmöglichkeiten war die Resistenz der Sorten plötzlich nebensächlich. Wert gelegt wurde jetzt auf einen hohen und regelmäßigen Blütenansatz mit einem potentiell hohen Fruchtertrag, auf Transportfestigkeit, süßen Geschmack und eine lange Haltbarkeit.
„Im neuen Erwerbsobstbau bedeutete ein hoher Fruchtansatz mit intensiver Pestizidbehandlung am Ende mehr Geld“, erklärt Bannier. Ohne Pestizide gäbe es die krankheitsanfälligen Apfelsorten gar nicht am Markt. Lediglich drei Sorten seien in Europa die Stammväter der modernen Apfelzüchtung: der ‚Schorf-Weltmeister‘ Golden Delicious, der ‚Obstbaumkrebs-Weltmeister‘ Cox Orange und die Sorte Jonathan. Ab etwa 1930 wurden nur noch diese anfälligen Äpfel miteinander gekreuzt, was nicht zuletzt auch zu einer enormen genetischen Verarmung führte.
Rettungsversuch: der Malus floribunda
Vor allem für Bios, die keine chemisch-synthetischen Pestizide verwenden, ist die Anfälligkeit eine Herausforderung. Man habe also versucht, wieder Sorten mit größerer Schorfresistenz zu züchten. Das gelang mit dem japanischen Apfel Malus floribunda, bei dem sich die Schorfresistenz auf ein einzelnes Gen lokalisieren lässt. Fast 95 Prozent der heutigen schorfresistenten Apfelsorten stützen sich darauf, zum Beispiel der auch bei Bio-Bauern beliebte Topaz.
Doch was zunächst gut klingt, scheint auf lange Sicht nicht funktioniert zu haben. Inzwischen gibt es wieder Resistenzdurchbrüche beim Topaz und anderen auf Schorfresistenz gezüchteten Sorten. Dazu komme auch noch die neuartige Krankheit ‚Elsinoe Blattflecken‘, die vor allem moderne Sorten befällt. „Die Strategie der monogenetischen Schorfresistenz ist weitgehend gescheitert“, so Banniers Schlussfolgerung. Die Konzentration nur auf Schorf sowie der „Tunnelblick aufs Genom“ seien keine gute Idee gewesen.
Falsches Heilsversprechen: die neue Gentechnik
Nun werde das Zusammenbrechen von Resistenzen als Argument für neue Gentechnik verwendet: Weil Resistenzen immer nur ein paar Jahre hielten, könne man sich nicht auf die langsame Züchtung verlassen, sondern brauche die schnelle Gentechnik. „Das ist aber ein Märchen!“, betont Bannier. Jahrhundertelang habe es keine zusammenbrechenden Resistenzen gegeben – bevor aufgrund der verfügbaren Pestizide nicht mehr darauf geachtet wurde.
Fazit: Auch wenn es länger dauert, ist es langfristig nachhaltiger, alte, von Natur aus resistente Apfelsorten zu züchten, als mit neuer Gentechnik die hoch krankheitsanfälligen Sorten durch das Einbauen einzelner Gene immer für ein paar Jahre zu retten.
Den nachhaltigen Weg will der apfel:gut e.V. – Förderverein zur Entwicklung und Durchführung ökologischer Obstzüchtung – gehen: Nach dem Prinzip von 1930 werden dort alte, resistente Sorten mit anderen gekreuzt, die zum Beispiel besser schmecken oder länger haltbar sind etc. Anstatt sich auf einzelne Gene zu konzentrieren, gehe es darum, die Gesamtheit und Komplexität gerade nicht außer Acht zu lassen, so das Vereinsmitglied Bannier. „Wir wollen die genetische Vielfalt wiederherstellen, als Voraussetzung für stabile Ökosysteme.“ Viele Streuobstbestände seien genetisch noch gar nicht erfasst. Für die biologische Züchtung gibt es also noch viel ungenutztes Potential.
Lena Renner