Handel
Bio-Vielfalt hinterm Deich
Naturkind-Welt bündelt Bio im Edeka Cohrt

Eigenständige Fachmärkte, ein Bio-Shop-in-Shop-System sowie eine Produktmarke: Das vereint die Handelskette Edeka mittlerweile unter dem Namen Naturkind. Immer mehr Edeka-Kaufleute greifen auf das Konzept zurück, um ihr Bio-Angebot auszubauen – mit Marken, die bisher teils nur dem Fachhandel vorbehalten waren. So auch der Kaufmann Marco Cohrt, der die Landbevölkerung im hohen Norden mit Bio versorgt.
Erst Ende 2019 wurde der Edeka-Markt im niedersächsischen Cadenberge, Landkreis Cuxhaven, nur wenige Kilometer entfernt vom Nordsee-Deich eröffnet. Der Marktleiter Marco Cohrt (42) hat sich bereits mit 33 Jahren als Edeka-Kaufmann selbstständig gemacht. 2013 hat er seinen ersten Markt bei Hamburg übernommen. „Dort gab es damals kaum Bio“, erinnert er sich. Nachdem er sich der Sortimentsgestaltung angenommen hat, waren es 14 Regalmeter.
Der neu gebaute Markt in Cadenberge bot mit seinen rund 3.000 Quadratmetern Fläche noch mehr Gestaltungsmöglichkeiten und wurde von Cohrt von Anfang an mit einer eigenen Bio-Welt konzipiert. Von Naturkind habe er zufällig auf einem Seminar gehört und anschließend Kontakt aufgenommen. Am 23. Mai 2022 konnte das Shop-in-Shop-System unter der Flagge Naturkinds schließlich eröffnet werden.
Insgesamt schätzt der Kaufmann sein Bio-Sortiment auf etwa 3.000 Artikel von den insgesamt 40.000 ein. Zu 2.300 Markenprodukten kämen etwa 500 Eigenmarken-Artikel, ergänzt von Obst und Gemüse. Die Zehn-Prozent-Marke konn- te damit noch nicht ganz geknackt werden.
Wohlfühl-Oase und konzentrierte Bio-Kompetenz
„Die Naturkind-Welt soll eine Wohlfühl-Oase sein, durch die man gerne flaniert – ein Ort der Entspannung und eine Zone des Respekts, aber zugleich eine konzentrierte Form der Bio-Kompetenz“, beschreibt Naturkind-Geschäftsführer Robert Poschacher das neue Edeka-Konzept. Sie wolle eine Brücke bauen zwischen Bauern, Herstellern und Kunden und das ganze Jahr über hochwertige Bio-Produkte bieten. Gerade im ländlichen Raum sei es wichtig, die Lücke zu den Kunden zu schließen, und Aufgabe des Handels, ihnen Produkte leicht verfügbar zu machen. Dabei dürfe man die Kunden aber nicht bedrängen oder belehren. Stattdessen gehe es darum, sie objektiv aufzuklären und zu informieren.
„Für die Bio-Multiplikation brauchen wir Leidenschaft“, meint Poschacher und nennt als positive Beispiele den Kaufmann Marco Cohrt und die Cadenberger Bio-Expertin Andrea Kraschewski. Letztere hat bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schleswig-Holstein eine Ausbildung zur Bio-Fachfrau absolviert. Dabei habe sie ein umfassendes Grundlagenwissen über Bio von der Düngung bis zur Verarbeitung erworben und im Zuge von Exkursionen verschiedene Bio-Höfe und -Hersteller besucht. Beim Cadenberger Edeka hat sie die Warengruppe Bio mitentwickelt und ist jetzt auch für die Weiterentwicklung zuständig, sowie fürs Beantworten von Kundenfragen. „Wir gehen gerne auf individuelle Kundenwünsche ein“, sagt die Expertin. So bestelle der Edeka etwa regelmäßig Bio-Wasser für einen Kunden, der 50 Kisten davon abnimmt.
Auch die sieben Azubis des Marktes durchlaufen als eine Ausbildungsstation die Naturkind-Welt und sollen dabei ein grundsätzliches Verständnis von Bio vermittelt bekommen. Weil der Markt kurz vor der Pandemie eröffnet wurde, gab es bisher nicht viele Gelegenheiten, um Bio-Verkostungen anzubieten. Das solle sich in den nächsten Monaten aber ändern.
Markenvielfalt in der Naturkind-Welt
Insgesamt gibt es aktuell deutschlandweit 28 Naturkind-Welten – darunter vier eigene Märkte und 24 integrierte Shop-in-Shop-Systeme in Edeka-Märkten, die über alle Edeka-Regionalgesellschaften verteilt sind. „Dazu haben wir momentan an die 100 Aufträge“, erzählt Poschacher. „Die Nachfrage ist sehr groß!“ Stehe Bio gerade allgemein unter Druck, sei das Naturkind-Konzept bisher ein Selbstläufer.
Die Naturkind-Welt hat eine profilgebende Lage im Markt, erläutert Poschacher. Im Cadenberger Edeka wurde diese Vorgabe bestmöglich umgesetzt. Gleich am Eingang empfängt die Kunden eine eigene Naturkind-Obst-und-Gemüse-Auslage mit an die 60 Bio-Artikeln. Verschiedene Apfelsorten, Bananen, Orangen, Clementinen, Zitronen, Trauben, Kiwis, Avocados und Mangos sind hier zu finden, aber auch Kokosnüsse, Granatäpfel und Erdnüsse. Auch das Bio-Gemüse-Sortiment lässt keine Wünsche offen: mit dreierlei Tomatensorten, braunen und weißen Champignons, Weiß-, Rot- und Spitzkohl, Eisbergsalat, Staudensellerie, Petersilienwurzel, Paprika, Mais, Roter Bete, Porree, Broccoli, Möhren, Gurken und Zucchini, verschiedenen Kürbissen, Schalotten, Knoblauch und Zwiebeln, Süßkartoffeln und Kartoffeln in Bio- und Demeter-Qualität bis hin zu Bobbybohnen, Auberginen, Ingwer und Kurkuma.
Direkt angrenzend an den O+G-Bereich bietet eine grüne Mooswand einen Eyecatcher für ausgewählte Naturkind-Produkte, die jeweils durch ein individuelles Wimmelbild-Design erkennbar sind, und geleitet die Besucher zu drei Naturkind-Regalreihen voller Bio. „Naturkind ist als Fachhandels-Marke konzipiert“, erklärt Poschacher. Mittlerweile gibt es mehr als 50 Artikel „und es werden fast täglich mehr.“ Langfristig sollen die Produkte auch für den Drittvertrieb zugelassen sein, „wir sind offen für Gespräche!“
Müsli-Markenvielfalt liefern am Eingang der Welt die Hersteller barnhouse, Bauck, Hammermühle, Campo Verde, Alnatura und Davert. Passend daneben ist eine große Auswahl von veganen Milchalternativen von Provamel, Natumi, Voelkel, Allos und Alnatura platziert, darunter auch Besonderheiten wie der ‚Hafer Golden Kurkuma‘ von Voelkel oder ein Buchweizen-Drink von Natumi. „Früher haben wir die Produkte nach Lieferanten sortiert, heute sind sie nach Sortimenten geordnet“, erklärt Cohrt. Über Naturkind-Aufsteller an den Regalenden wird der Mehrwert von Bio, Demeter oder Fairtrade kommuniziert.
Ans Müsli- grenzt das Nüsse-und-Trockenfrüchte-Sortiment. Ganz oben thronen dort die Mehrweg-Pfandgläser des jungen Bio-Unternehmens Gutding aus Schleswig-Holstein, gefüllt mit Walnüssen, Cashewkernen, Bananenchips, Rosinen und mehr. Prominent platziert folgen Produkte von Biofarm und Clasen Bio, ergänzt durchs Nuss-Sortiment von Flores Farm und Alnatura.
Bewährte Marken und unbekannte Startups
Bei den süßen Aufstrichen stechen Sorten von Gepa, Vivani, Eisblümerl und Alnatura hervor, Marmeladen gibt es von Allos, den Beerenbauern, Annes Feinste, Ostseeliebe, Fior di frutta oder dem Hamburger Startup Smiling Fruits. „Wir wollen bei Naturkind auch einen Marktplatz für junge Unternehmen bieten“, so Poschacher. „Ziel ist eine Mischung von bewährten Bio-Marken mit Erfahrung und noch weniger bekannten Startups.“ Auch die Auswahl an veganen Aufstrichen kann sich sehen lassen, mit Marken wie Tartex, Nabio, Rettergut, Allos und Hedi Natur.
Im Backwaren-Regal reiht sich Zwieback von Sommer an Knäcke von Le Pain des Fleurs und Naturata sowie ein glutenfreies Brot-Sortiment von Alnavit und Schnitzer. Daneben stehen Reiswaffeln von Alnatura und Tortilla Wraps von Amaizin. Ein Alnavit-Weihnachtsaufsteller offeriert Spekulatius, Zimtsterne, Dominosteine, Elisenlebkuchen und Baumkuchen für Zöliakie-Betroffene.
Beim Tee setzt die Naturkind-Insel auf Lebensbaum, Yogi-Tea und Pukka, die zusammen zwei komplette Regalreihen füllen. Dazu gibt es einen separaten Weihnachtsaufsteller mit winterlichen Spezialitäten von Yogi-Tea. Prominente Kaffee-Marken sind neben Lebensbaum die Gepa und Mount Hagen von Wertform. Im Schokoladen-Regal winkt eine Feinschmecker-Auswahl von Naturata, Gepa und Vivani oder eine Fairtrade-Naturkind-Schokolade, neben anderen Süßwaren wie Keksen von der Bohlsener Mühle, der Hammermühle, Sommer und La Selva.
Auch beim Nudel-Angebot hat der Kunde die Qual der Wahl: von Alnatura-Spaghetti im Einstiegsbereich über grüne Tagliatelle von Byodo, Dinkel-Spirelli von Naturata oder Rote-Linsen-Nudeln von Govinda bis hin zu Vollkornpenne von Felicia und Bio Idea. Dazu gibt es passierte Tomaten und Saucengrundlagen von Bio Idea, La Selva, Alnatura oder Ppura, angrenzend an Konserven von Marschland, Bauckhof oder Amaizin. „Die klassische Convenience läuft auch im Bio-Bereich nicht schlecht“, berichtet Poschacher. Kleine Fertiggerichte von Davert seien im letzten Jahr ein Bestseller gewesen.
Reis, Flohsamenschalen oder Weizenkörner können Einkäufer von Davert, Campo Verde, der Bohlsener Mühle, Clasen Bio oder Govinda erwerben. Mehl und Backmischungen stellen Bauck, Govinda, Campo Verde oder Biovegan. Letzterer ist auch für einen Großteil der Backzutaten verantwortlich, gemeinsam mit Bio Vita und Alnatura. Dazwischen versteckt sich ein Natur- kind-Back-Kakao in Naturland-Qualität. Das Gewürzregal ist wiederum vor allem von Lebensbaum bestückt, neben Salzen von Naturata und Erntesegen.
Das Suppen-Sortiment bietet Marken wie Natur Compagnie, Beltane, Cenovis, Gut Krauscha, Swema und Erntesegen, Oliven gibt es von Mani Bläuel und La Selva. Beim Olivenöl kommen noch Bio Planète, Byodo und Franz & Co dazu, beim Essig Voelkel und bei den Dressings etwa die Emils Bio-Manufaktur.
Erfrischende Getränke in Fülle finden Kunden mit dem Bio Zisch-Limonaden-Sortiment von Voelkel, das mit einer now-Cola-Range und Eistee von Yogi-Tea ergänzt wird. Eine komplette Regalreihe ist für das bunte Voelkel-Saft-Angebot reserviert. Bio-Biere liefern Neumarkter Lammsbräu, Riedenburger und die Münsteraner Brauerei Pinkus Müller, Bio-Wasser die Hersteller Viva con Agua, St. Leonhards und Lauretana. Weine sucht man in der Bio-Welt vergeblich, sie sind im konventionellen Bereich einsortiert. Hier findet man die Marken Landlust, Studier, Camino Los Robles, La Mancha und mehr.
Luft nach oben bei Thekenware
Auch um gekühlte Bio-Ware zu kaufen, muss man den Naturkind-Bereich verlassen und sich ans konventionelle Kühlregal wagen. Hier bietet neben Schwarzwaldmilch und Alnatura auch die regionale Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof ihre Bio-Milch zum Verkauf. Je zwei bis drei Sorten Joghurts gibt es von Paul Söbbeke, Andechser Natur und Alnatura. Sparsame Bio-Kunden kommen zudem mit dem 1-Kilogramm-Joghurt-Eimer von Weideglück für 2,45 Euro auf ihre Kosten. Zwischen dem Facing der herkömmlichen Joghurts geht dieses Angebot bisher noch etwas unter.
Frisches Brot gibt es bislang nicht in Bio-Qualität. „Wir haben versucht, regionale Lieferanten zu finden, aber sie konnten die benötigte Menge nicht zur Verfügung stellen“, erklärt Cohrt. Dafür gibt es Aufbackware von Herzberger, die über die Zentrale bezogen werden kann.
Auch das Angebot in der Fleisch-Theke ist noch ein schwarzes Loch. „Wir haben damit angefangen, aber konnten es nicht an den Kunden bringen“, so Cohrt. Eine Fleisch- und Wurst-Auswahl finden Kunden im SB-Regal. Unter den Eigenmarken ‚Edeka Bio‘ und ‚Natur Pur‘ sind verschiedene Schinken und Lyoner, Jagdwurst, Kasseler Braten, Wiener Würstchen und mehr geboten. In Kürze sei ein Besuch bei einem Bio-Hof geplant, mit dessen Hilfe das Fleisch-Sortiment weiter aufgepeppt werden könne.
Die Käse-Theke ist schon etwas weiter und kann ein kleines Bio-Sortiment bieten: Altbierkäse, Uriger Hannes und Wilder Bernd von Söbbeke, ein Rosa-Pfeffer-Käse von der Gläsernen Molkerei, holsteinischer Bio Fiete aus dem Haus Johannsen oder ein spanischer Bio-Manchego. Weitere Sorten gibt es auch hier beim Aufschnitt von der Eigenmarke oder Alnatura: Butter- und Bergkäse, Gouda, Mozzarella, Emmentaler, Cheddar, Chili- und Ziegenkäse.
In der TK-Abteilung findet man Gemüse von Frosta und Alnatura. Letzterer stellt auch ein paar Bio-Pizzen, gemeinsam mit Followfood. Der schwedische Produzent Dafgårds bietet Rinder-Kötbullar und vegetarische Gemüsebullar in Bio-Qualität. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Speiseeissorten vom Bio-Hersteller Nomoo: ob Bratapfel, Himbeere, Kakao, Vanille, Limette-Minze, Banane-Schoko, schwarze Johannisbeere oder Kokosnuss.
Allgemein unterhält der Markt noch keine direkten Kontakte zu Bio-Lieferanten in der Region. Hauptlieferant fürs Bio-Segment ist der norddeutsche Großhändler Grell, der auch die Frische-Abteilung bestückt. Dabei hätten Bio-Produkte von lokalen Landwirten und Herstellern grundsätzlich Platz bei Naturkind, wie Poschacher betont. Die Edeka-Regionalgesellschaften könnten den Markt auch bei der Suche danach unterstützen. „Wir wollen Individualität und Vielfalt bieten“, so der Geschäftsführer. „Vereinheitlichung ist langweilig.“ Mit diesem Credo ist die junge Bewegung auf einem guten Weg.
Lena Renner