Öko-Marketingtage
Transformation trotz Gegenwind
V. Öko-Marketingtage auf Schloss Kirchberg

Zum fünften Mal lud die Akademie Schloss Kirchberg am 12. und 13. Oktober zu den Öko-Marketingtagen auf das Bauernschloss und empfing dort rund 200 Gäste aus ganz Deutschland. Unter dem Motto ‚30 Prozent Bio und mehr – Die Markenentwicklung resilient gestalten‘ diskutierten Experten aus Wissenschaft, Politik, Produktion und Handel über die Fachhandelskrise, Bio im Mainstream und notwendige politische Maßnahmen.
„Wir befinden uns in einer Seitwärtsbewegung und ha-ben eine Delle, was Absatz und Marktentwicklung anbelangt aufgrund der aktuellen Krisen und politischen Verwerfungen“, sagte Rudolf Bühler, Vorsitzender der Stiftung Haus der Bauern, die auch Träger der Akademie für ökologische Land- und Ernährungswirtschaft ist, in seiner Eröffnungsrede. Bio-Lebensmittel schienen zu teuer und ein ‚Luxusgut‘ zu werden. Doch es gelte Kurs zu halten, denn der Ökolandbau sei die ressourceneffizienteste Form der Landbewirtschaftung.
Die Leistungen von Bio könnten nicht alleine über den Produktpreis vergütet werden. Über Stickstoff- und Pestizidsteuern hätten die externen Kosten der chemischen Agrarwirtschaft schon lange eingepreist werden können. Ein vielversprechendes Entwicklungsfeld stelle außerdem Carbon Farming da, wozu auf Schloss Kirchberg ein Forschungsprojekt am Laufen ist.
Wie vielfältig die Leistungen von Bio sind, machte Johannes Ehrnsperger, Inhaber und Geschäftsführer von Neumarkter Lammsbräu, deutlich. Mit Fünfjahresrahmenverträgen und fairen Preisen stelle sein Unternehmen wertschätzende Partnerschaften mit den 180 Lieferanten sicher. Dazu unterhält Lammsbräu Humusaufbauprojekte, bietet den Höfen individuelle Beratung für Naturschutzkonzepte und macht mit Hilfe von Regionalwertleistungsrechnungen die Nachhaltigkeitsleistungen der jeweiligen Landwirte transparent.
Der Fachhandel in der Krise
‚30 Prozent Bio und mehr – Die Markenentwicklung resilient gestalten‘, so lautete das Thema der 5. Öko-Marketingtage. Fakt ist aber: Der Bio-Markt entwickelt sich aktuell rückläufig. Hatte die Pandemie der Bio-Branche zu Beginn einen Rekordumsatz verschafft, musste sie im letzten Jahr angesichts von Krieg und Inflation den ersten Rückgang seit der Zeit der Finanzkrise 2009 verkraften. Dabei sind die Preise für Bio-Lebensmittel mit rund fünf Prozent im Vergleich zu konventionellen Produkten mit einer Inflation von etwa 16 Prozent nur moderat gestiegen, wie Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn ausführte.
Dennoch: Der Bio-Umsatzrückgang von rund fünf Prozent werde sich bis Ende 2022 fortsetzen, sagte Rüschen voraus. Dramatisch bis existenzbedrohend sei die Lage vor allem für den selbstständigen Naturkostfachhandel. Bei Bio-Supermärkten, Naturkost- und Hofläden liege das Negativwachstum bei 15 bis 17 Prozent. Dagegen konnten Discounter um 18 Prozent zulegen, wie Diana Schaack von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) zeigte. Auch die Drogeriemärkte gehörten in puncto Bio zu den Gewinnern der Krise. Und: Während Bio-Herstellermarken ein Minus von knapp neun Prozent verbuchen mussten, schafften die Bio-Handelsmarken ein Plus von neun Prozent.
„Die Kunden wollen immer noch Bio kaufen – aber sie wollen es billiger“, stellte Rüschen zusammenfassend fest. Der LEH, Vollsortimenter und Discounter würden daher zu Lasten des Naturkostfachhandels weiter Marktanteile gewinnen. Laut Expertenmeinungen werde der Bio-Markt nach Verschlankungsprozessen und Effizienzprogrammen sein überproportionales Wachstum der letzten Jahre weiter fortsetzen können. Dennoch sei das Erreichen des politischen Ziels von 30 Prozent Bio bis 2030 ohne staatliche Unterstützung unrealistisch.
Dass sich die Dominanz der Bio-Eigenmarken im Vergleich zu Herstellermarken weiter verstärken werde, prognostizierte auch Tankred Kauf, Geschäftsführer des Demeter-Vermarkters Campo Verde. Sei das durch Jahrzehnte des Aufschwungs bisher nicht nötig gewesen, müssten die Bios jetzt das Verkaufen lernen, denn „Verkaufen beginnt mit dem Nein.“ Eine rein wertebasierte Kommunikation werde dafür nicht reichen und die Bio-Branche um Preisaktionen und Ähnliches nicht herumkommen. „Der Fachhandel muss lebendig sein und das Salz in der Suppe geben“, so Kauf.
Eine einfachere Kommunikation wünscht sich Marion Hoffmann, Mitglied der Geschäftsleitung bei lehmann natur. Der Fachhandel müsse sich künftig mehr um Hybridkunden bemühen und eine Atmosphäre schaffen, wo diese gerne einkaufen. Als Positivbeispiel führte sie den Einzelhändler tegut an, der mit 30 Prozent Bio schon heute lebe, was deutschlandweit angestrebt wird. „Wir Bios erklären immer“, stimmte Johannes Ehrnsperger zu. „Wenig Worte, Emotionalität und Begeisterung“ seien Bestandteile einer Kommunikation, mit der man die Leute abholt. Für Katrin Zander, Professorin an der Universität Kassel, braucht Bio jetzt vertrauensbildende Maßnahmen, eine koordinierte Kommunikationsoffensive und ein klares politisches Bekenntnis mitsamt den richtigen Anreizen.
Bio im Mainstream
Stolz darauf, Bio zum kleineren Preis bieten zu können und eine Art Auffangebene geschaffen zu haben, ist tegut-Geschäftsführer Thomas Gutberlet. Er warnte davor, Hersteller auszuschließen, die aus dem konventionellen Bereich Stück für Stück dazukommen – auch wenn ihre Wertehaltung vielleicht noch nicht ganz der der Bio-Pioniere entspricht. „Wenn Bio sich als Gegner gegen den Rest der Welt stellt, wird es schwierig“, meinte er. Verbände wie Demeter und Bioland könnten Vorreiter sein, die andere hinter sich herziehen. Besser als in ‚gut und böse‘ zu denken, sei es, das Positive herauszustellen, ohne das andere schlechtzumachen. Beim Thema Preisgestaltung gebe es nicht eine Lösung für alle und am Ende müsse der Kunde im Mittelpunkt stehen.
„Kunden sollen zu Fans werden“, wünscht sich Robert Poschacher, Geschäftsführer des Edeka-Bio-Fachmarktkonzepts Naturkind. Die aktuell 25 Naturkind-Welten sollen Bio-Produkten als Marktplatz dienen, Bio-Bauern mit ihren Kunden verbinden und Teil einer integrierenden Bewegung sein, an der jeder teilnehmen kann. „Naturkind ist kein Angriff auf den Fachhandel, sondern ein Angriff auf den Klimawandel!“, stellte Poschacher klar.
Dass Bio für alle zugänglich sein sollte, vertritt auch Artur Findling, der für Kaufland den Einkauf von Bio-Lebensmitteln verantwortet. „Es ist uns gelungen, mehr Premium-Bio in die Mitte der Gesellschaft zu bringen“, meinte er und hob die Kooperationen der Handelskette mit Demeter und bald auch Bioland hervor.
Marcus Wewer, der bei Rewe für Bio-Eigenmarken zuständig ist, appellierte an die Bio-Branche, sich vor dem wachsenden und klimarelevanten Markt veganer Lebensmittel nicht zu verschließen und den Zug nicht zu verpassen. Mit der Marke ‚Rewe Bio + vegan‘ hebt der Einzelhändler pflanzliche Bio-Produkte bereits besonders hervor. Wie Gutberlet rief Wewer die Branche zudem dazu auf, alte Feindschaften zu begraben. Fachhandelsmarken sei-en bei Rewe-Kunden oftmals unbekannt und bekannte konventionelle Marken entsprechend wichtig dabei, Bio ins Bewusstsein zu rücken.
Hat Qualität ihren Preis?
Darüber, ob Bio-Produkte billiger werden müssen, wurde auf den Öko-Marketingtagen vielfach diskutiert. Nach einer Studie bei jungen Menschen sind zu teure Preise das wichtigste Hemmnis beim Bio-Einkauf, wie Katrin Zander erklärte. Über 40 Prozent der Befragten würden dadurch abgeschreckt. Entsprechend forderte Annette Müller von der Lebensmittelzeitung, die Bio-Preise müssten weiter sinken, um etwa auch Studenten und Familien zu erreichen. Der Fachhandel müsse in dieser Hinsicht vom LEH lernen. Für Leo Frühschütz vom Journalistenbüro biotext ist es dagegen keine erfolgversprechende Strategie für den Fachhandel, die Billigschiene zu fahren. Friedemann Vogt, Geschäftsführer der Schrozberger Milchbauern, warnte davor, in der Qualität zurückzufallen und nur noch halbe Produkte zu machen, nur um billiger anbieten zu können.
Auch Burkhard Schmied, Abteilungsleiter für Landwirtschaftliche Erzeugung und Agrarsozialpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), verneinte die Frage, ob Bio-Produkte billiger werden müssen. Vielmehr müsse ihr Wert besser kommuniziert und müssten konventionelle Produkte verteuert werden. Angesichts von Klimawandel, Artensterben und Ernährungskrise gelte es, mit geänderten Rahmenbedingungen und Förderungen den Ökolandbau voranzutreiben.
Neue Zukunftsstrategie für die ganze Regierung
Als Strategie für die ganze Bundesregierung stellte Schmied bis zur Biofach eine ausgebaute und neu strukturierte Zukunftsstrategie ökologischer Landbau in Aussicht. Im Sommer 2023 solle sie im Kabinett verabschiedet werden. Ein wichtiges Instrument für den Bio-Ausbau sei das Bundesprogramm ökologischer Landbau (BÖL), dessen Mittel erhöht worden seien. Dieses Jahr stünden knapp 33 Millionen Euro zur Verfügung, im nächsten Jahr sollen es nochmal mindestens drei Millionen mehr sein.
Bezüglich der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP) sei es das langfristige Ziel des BMEL, komplett weg von der Flächenförderung zu kommen und Direktzahlungen nur noch für gesellschaftliche Leistungen zu gewähren. Parallel zum Flächenziel 30 Prozent ist geplant, dass auch 30 Prozent der Forschungsmittel künftig in den Ökolandbau fließen. Außerdem soll eine Infokampagne zum Wert von Bio-Lebensmitteln gestartet werden.
Zum Zugpferd Außer-Haus-Verpflegung solle in Kürze eine Richtlinie veröffentlicht werden, mit der die Beratung für die Umstellung auf Bio in Kantinen gefördert werden kann. Auch die Kantinen in der Bundesverwaltung sollen auf mehr Bio umstellen. Darüber hinaus ist ein Logo vorgesehen, mit der Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung ihren Bio-Anteil hervorheben können.
Bio außer Haus genießen
Dass in der Außer-Haus-Verpflegung in Deutschland bereits erfolgreiche Initiativen existieren, zeigten drei Vorreiter aus verschiedenen Bereichen. 60 Prozent Bio in der Berliner Gemeinschaftsgastronomie will die Kantine Zukunft erreichen. Mit einem sechsmonatigen Beratungsprogramm und mittlerweile 13 Mitarbeitern hat die Organisation bereits 20 Küchen bei der Umstellung geholfen, wie die stellvertretende Projektleiterin Dinah Hoffmann erzählte. Über mehr frisches Essen auf den Tellern, mehr Saisonales und weniger Fleisch werde die Umstellung auch finanziell machbar.
„Den Leuten nichts vorschreiben, sondern durch Qualität überzeugen“, lautet das Credo von Kurt Stümpfig, der die Verpflegungsdienste bei der Linde GmbH leitet. Nach einem Einstieg mit 25 Prozent Bio biete die Linde-Betriebsgastronomie heute je nach Saison 65 bis 75 Prozent der Mahlzeiten in Bio-Qualität an.
Mit 100 Prozent Bio kann Denis Florschütz, Betriebsleiter bei apetito catering, aufwarten. Zusammen mit dem Warenkreditversicherer Allianz Trade hat apetito im Juni 2022 das erste Bio-Betriebsrestaurant Hamburgs eröffnet. 89 Prozent der Mitarbeiter hätten dem Ziel bei einer Abstimmung im Vorfeld zugestimmt. „Die Nachfrage nach Bio nimmt zu“, freut sich Florschütz.
Wenn Absatz und Rahmenbedingungen stimmen, werde die Wende an der Produktion nicht scheitern, ist Naturland-Präsident Hubert Heigl überzeugt: „Gute konventionelle Landwirte werden auch gute Bio-Landwirte!“ Dafür, dass die Politik ins Umsetzen kommt, ist es allerdings höchste Zeit. „Wenn die Agrarwende nicht erfolgreich ist, haben wir in fünf Jahren eine Energiekrise“, machte Theresia Kübler, Landesvorständin von Demeter Baden-Württemberg, den Ernst der Lage deutlich.
„Der Wind bläst uns hart um die Ohren, nach Jahren des Rückenwinds“, stellte Bioland-Präsident Jan Plagge im Abschlussgespräch fest. Die katastrophale Situation der Welternährung bedeute aber nicht, dass die Landwirtschaft weiter intensiviert werden muss, wie manche Medien es jetzt fordern. „Es gibt kein Produktionsproblem, sondern ein Systemproblem – und wir sind der Katalysator für die Transformation des Systems.“ Die Bio-Branche müsse weiter hinausgehen und die Diskussion suchen.
Lena Renner