Backwaren
Frei von Backmitteln und Abhängigkeit
Die Freien Bäcker engagieren sich für ihr Handwerk als Teil nachhaltiger, regionaler Wertschöpfungsketten

Backmischungen, Zusatzstoffe und technische Enzyme: Ohne Hilfen aus der Industrie können heute viele Backwaren-Hersteller nicht mehr produzieren. Eine Gegenbewegung hat sich im Verein ‚Die Freien Bäcker – Zeit für Verantwortung‘ vereint und setzt sich fürs souveräne Bäcker-Handwerk mit unbehandelten und nachhaltig erzeugten Rohstoffen aus der Region ein. Die Bäckermeisterin und Vorstandsvorsitzende Anke Kähler hat sich mit bioPress über ihre Arbeit unterhalten.
bioPress: Frau Kähler, wie ist Ihr Verein entstanden und worum geht es Ihnen?
Anke Kähler: Der unabhängige Verband, der heute ‚Die Freien Bäcker‘ heißt, wurde Anfang 2011 gegründet und ging quasi aus dem Verein ‚Slow Baking‘ hervor. Dieser Verband musste Ende 2010 im Rahmen einer Insolvenz abgewickelt werden. Die Freien Bäcker setzen in vielerlei Hinsicht andere Schwerpunkte als die damalige ‚Slow Baking‘ Bewegung. Wir haben – ich würde sagen genau deshalb – weniger Mitglieder. Den momentan 40 Freien Bäckern geht es darum, ihre Souveränität als freie Handwerker zu erhalten. Das verlangt umfangreiches Wissen über viele Aspekte der gesamten Wertschöpfungskette, handwerk- liches Können und viel Engagement. Unsere ‚Grundregeln für die handwerkliche Herstellung von Brot und Backwaren‘ beschreiben für alle Produktgruppen, wie handwerkliche Herstellung für uns konkret definiert ist. Hochwirksame Backmittel sowie industrielle Vormischungen sind demnach ausgeschlossen. Wir sind nicht Bäcker geworden, um uns unser Know-how und unsere Unabhängigkeit durch vereinfachte industrielle Produktionsverfahren abnehmen zu lassen. Die Freien Bäcker setzen auf Langzeitführungen und stellen ihre Qualitätserzeugnisse vollständig über alle Prozessschritte selber her.
Vor ein paar Jahren sind wir durch den Ausschluss sogenannter Verarbeitungshilfsstoffe noch einen Schritt weiter gegangen. Im Rahmen unserer Richtlinien haben wir ‚Clean-Label Backmittel‘, dazu gehören insbesondere technische (exogene) Enzyme, die in der Regel nicht am Endprodukt deklariert werden müssen, verbannt. Die meisten technischen Enzyme werden heutzutage mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen gewonnen. Sie sind das A und O der industriellen Form der Nahrungsmittelproduktion, bei der es darum geht, die Produktion möglichst standardisiert und damit billiger zu machen. Indem wir ihren Einsatz nach unseren Regeln ausgeschlossen haben, ha-ben wir einige Betriebe verloren, darunter auch Bio-Bäckereien.
bioPress: Das heißt, technische Enzyme werden auch von Bio-Herstellern verwendet?
Kähler: Ja. Nach der EU-Bio-Verordnung dürfen technische Enzyme eingesetzt werden. Wir stehen jedoch überzeugt hinter dem Verzicht, der unserer Meinung nach einen vorsorgenden Verbraucherschutz darstellt. Es gibt für den Einsatz technischer Enzyme keine unabhängige Risikoforschung und aus unserer Sicht keine verlässliche Folgenabschätzung. Publikationen belgischer Wissenschaftler aus den Jahren 2020/21 lassen auf erhebliche Risiken für die Lebensmittelsicherheit und die öffentliche Gesundheit schließen. So verfügen bei- spielsweise Gentechnik-Bakterien über Resistenzgene gegen Antibiotika, die mit Darmbakterien ausgetauscht werden können.
Unsere Bäcker sind in der Lage, mit unbehandelten, nachhaltig erzeugten Rohstoffen aus der Region hochwertige Lebensmittel herzustellen. Das braucht aber enorm viel Wissen und Können. Je mehr sich Handwerker auf vorgefertigte Inputs oder Convenience-Produkte verlassen, desto mehr Wissen geht ihnen verloren. Wenn das Lebensmittelhandwerk weiter bestehen will, muss es sich auf das ureigene Wissen und die ureigenen Werte fokussieren.
bioPress: Wie viele Ihrer Mitglieder sind Bio-zertifiziert?
Kähler: Die meisten Kollegen verwenden zum Teil oder vollständig Bio-Rohstoffe. Nicht alle loben aber ihre Produkte als Bio-Produkte aus. Außerdem haben wir unsere eigene Zertifizierung, bei der die handwerkliche Produktionsweise im Fokus steht. Sie wird von dem unabhängigen Institut für Getreideverarbeitung (IGV GmbH) durchgeführt.
Einige wichtige Fragen gehen für mich über Bio hinaus. Es gibt Bio-Betriebe, die ihre Rohstoffe immer dort einkaufen, wo sie gerade am billigsten sind. Andere beziehen ihre Rohstoffe von Bio-Betrieben aus ihrer Region und setzen auf langfristige, faire Partnerschaften – lassen sich aber nicht bio-zertifizieren. Auch zwischen Bio und Nicht-Bio funktioniert Schwarz-Weiß-Denken nicht.
bioPress: Wie kann die Branche es besser machen?
Kähler: Gerade jetzt sollten wir die Motive, die hinter der Bio-Wirtschaft stehen, transportieren. Marketing muss motivierende Bildungsarbeit sein, bei der die Inhalte so verständlich gemacht werden, dass sie bei den Leuten auch ankommen. In der momentanen Situation geht es beim Einkaufen vorrangig um den Preis – nicht um Tierwohl oder das Wohl des Planeten. Die meisten Verbraucher verstehen nicht, dass sie durch ihr Verhalten die Probleme des rasanten Klimawandels weiter verstärken und an dem Ast sägen, auf dem sie selbst sitzen. Dass das Leben nicht wie früher weitergehen kann, wollen viele noch nicht wahrhaben.
Unser Verein setzt sich mit vielen Themen der gesamten Wertschöpfungskette auseinander, etwa mit Verlusten von Biodiversität oder Bodenfruchtbarkeit. Wir arbeiten eng mit ökologischen Züchtungsorganisationen zusammen, die den Fokus auf Gesundheit und Robustheit der Pflanzen legen. Aktuell sind wir als Praxispartner an einem laufenden Projekt für den Anbau und die Verarbeitung von heterogenen Weizenpopulationen beteiligt. Sie sind durch gezielte Durchkreuzung mehrerer Qualitätsweizensorten entstanden und reagieren durch ihre genetische Vielfalt viel flexibler auf klimatischen Stress.
bioPress: Um die Jahrtausendwende herum gab es noch um die 30.000 Bäcker. Wie sieht der Markt heute aus?
Kähler: In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind bäuerliche und handwerkliche Betriebe in großem Umfang verdrängt und regionale Strukturen zerstört worden. 1950 gab es in Deutschland noch fast 19.000 Mühlen – heute sind es gerade noch 181. Wenige große Industriemühlen beherrschen mittlerweile den Markt. Auch die Anzahl an Bäckereien ist inzwischen auf unter 10.000 geschrumpft. Nach den Prognosen geht es weiter abwärts.
Neben den Herausforderungen durch die steigenden Energiepreise entwickelt sich besonders der immer extremer werdende Mangel an Mitarbeitern und Betriebsnachfolgern zu einer Existenzfrage für die Betriebe. Im vorgelagerten Bereich fehlt es oft an Voraussetzungen für den Erhalt und Aufbau regionaler Lebensmittelsicherheit, etwa an Lager- und Transportkapazitäten in der Landwirtschaft. Vom Ideal einer regionalen Kreislaufwirtschaft mit fairen Preisen sind wir noch meilenweit entfernt. In einem Projekt in der Region Hannover versuchen wir gerade, regionale Lücken zu schließen, indem wir Erzeugerbetriebe, Mühlen und Bäcker zusammenbringen.
bioPress: Wie finanzieren Sie Ihre Arbeit?
Kähler: Ein Teil der Arbeit wird durch die Mitglieder des Vereins finanziert, ein Teil wird ehrenamtlich geleistet. Bei der Durchführung von Kampagnen, wie etwa der Aktion Boden-Brot im Jahr 2021, bei der es darum ging, auf die Bedeutung von Bodenfruchtbarkeit aufmerksam zu machen, ist auch Geld zusammengekommen. Damit konnte die Arbeit, die mit der Aktion verbunden war, finanziert werden.
Für die Durchführung gemeinnütziger Projekte haben wir 2021 die gemeinnützige Unternehmensgesellschaft ‚Atelier Ernährungswende ‘ gegründet. Seit März organisiert die Gesellschaft etwa die Hilfsaktion ‚Brotbrücke Ukraine‘, durch die regelmäßig Brotspenden von Bäckereien per LKW in die Ukraine gebracht werden. Mit dabei sind Bäckereien aus dem Verein, aber auch andere Handwerksbetriebe und eine Großbäckerei.