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Editorial

Editorial Ausgabe 110/Januar 2022, 1. Quartal

Liebe Leserinnen, liebe Leser.

Im Herbst vor zwei Jahren, also vor der Pandemie, stieß die Anuga sichtbar an ihre Grenzen. Nie nahmen so viele Aussteller teil, nie waren so viele Besucher vor Ort und: Nie gab es so viele qualitätsorientierte Biolebensmittel in der Höhle des Löwen! Die große Aufmerksamkeit auf Bio aus allen Teilen der Welt zeigt auf den Markenkern von Bio: Gesunde Lebensmittel sind identisch mit nachhaltiger Produktion, erfahren daher Beliebtheit und helfen, kurz gesagt, das Klima und somit die Welt zu retten. Das lieben die Menschen.

Im letzten Herbst kam alles ganz anders. Im Sommer 2021, bei der internationalen Anuga-Pressekonferenz, klang Bio noch auf, auch wenn im Hintergrund bereits das Unheil raschelte. Das hatte man dem Sprecher der Geschäftsleitung scheinbar nicht in den Spickzettel geschrieben. Bio durfte sich die zentrale Plattform für Trends nicht mehr mit anderen teilen wie in den beiden letzten Jahrzehnten. Die Internationale Messe für feine Lebensmittel gab gesunder Biokost jetzt einen Korb und nur noch Platz am Rande.

Dafür rückte die neue Anuga-Projektleitung 2021 Kunstfleisch als nachhaltige Ernährungszukunft ins Zentrum. Kurz: Zusammen mit der Proveg, einem Verband für Vegetarier und Veganer, wurde der Verzicht auf Massentierhaltung propagiert, nicht durch ökologische Tierhaltung, sondern durch Produktion von Billigfleisch aus dem Bioreaktor mithilfe von tierischen Zellen und einer Nährlösung aus Zucker und Aminosäuren und einigen weiteren Tricks. Was für ein fragwürdiger Erfolg für die vegetarisch/vegane Gesellschaft! Das Ergebnis soll jungen Menschen angeblich schmecken, das hätten Umfragen ergeben. Die Umfrage-Methode dürfte allerdings bei Experten auf Widerstand stoßen.

Widerstand wird auch die Politik der Ökologischen Landwirtschaft leisten. Mit Bioimage als Vehikel hin zu künstlichem Fleisch, das in der EU noch nicht einmal eine Zulassung hat, aber hunderte Millionen US-Dollar Investitionen? Weg vom Image für Feinkost, feine Kost aus aller Welt? In eine ungewisse perfide Zukunft. Wer soll diese Produkte essen? Das lässt sich aus den erklärten Strategien heraus lesen. Die Kunstfleischreaktoren sollen direkt in Stadtvierteln mit Billigkonsumenten platziert werden, das spare noch einmal CO2 ein! Die Nährlösungen kommen dann durch Pipelines wie Haushaltsgas oder doch auch mit Tanklastwagen?

Wachstum für Konzerne, die, mit Fleischproduktion in Bioreaktoren als neue Profitquelle, Landwirte aus ihrem Businessmodell verdrängen, oder soll es Wachstum in Qualität geben? Will die EU-Lebensmittelwirtschaft ihren Qualitätsstandard an die Wand fahren? Eine Transformation hin zu echter Nachhaltigkeit stünde ihr besser zu Gesicht. Und, war diese Anuga nur eine Fatamorgana?

Natur schmeckt. Sie braucht keine Tricks. Natur ist gesund, wenn sie echt ist und nicht mit Agrochemie gedopt oder der Biotechnologie kopiert wird.
Es war abzusehen, dass die Langzeitplanung der Messecrew jetzt einen Realitätscheck auszuhalten hat und dies nicht nur durch die neue Regierungskoalition. Gedopte Ackerfrüchte auch noch mit Kunstfleisch zu ergänzen kann nicht gut gehen. So viel Manipulation werden die Konsumenten schwer ertragen.

Eine Transformation in Richtung zelluläre Landwirtschaft darf, nach der offensichtlich gescheiterten Gentechnik in der Lebensmittelproduktion, nicht stattfinden. Da würde der Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben werden. Ist Bimbes denn alles?

Nicht weniger auf dem Prüfstand steht der Elitenglaube in der Naturkostbranche. Kann es denn sein, dass ausgerechnet die Biopioniere Bio nur für Eliten vorsehen wollen? Die politisch und gesellschaftlich gewollte Entwicklung des Ökolandbaus und der Biovermarktung bis zum Jahr 2030 dürfte die 30- bis 40-Milliarden-Euro-Grenze deutlich überschreiten. Ob dann die Eliten – nach Insider-Definition der Fachhandel – mit Elitenprodukten (Bio) einzig die Eliten versorgen oder ob, mithilfe auch der Grünen-Politik, diese Toskana-Fraktion jetzt langsam der Vergangenheit angehören und Bio in den Mainstream fließen wird, steht nicht mehr so sehr in den Sternen. Das liegt jetzt vielmehr in den Händen tüchtiger Visionäre mit echtem Gemeinsinn.

Das bioPress-Magazin ist noch in anderer Hinsicht betroffen: Die Druckerei bekommt nicht genügend vom bioPress-üblichen Recycling-Papier geliefert, das wir seit über einem viertel Jahrhundert einsetzen. Pandemiebedingt müssen wir einmalig ausweichen auf 100-Gramm- Grammatur, was unökologische 25 Prozent mehr Papiergewicht bedeutet. Nur so konnten wir uns die gleiche Recycling-Papierqualität sichern. Hoffen wir, dass dieser Engpass nach diesem Quartal zu Ende ist.
Und zuletzt: Die Biofach-Messe wird verschoben auf Juli. Die Absage für Februar war beim Verlauf der Pandemie mit der neuen Variante abzusehen.

Erich Margrander
Herausgeber

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